Eine Kollegin, nur ein paar Jahre älter als ich, kam ungefähr zeitgleich mit mir in eine höhere Führungsposition. Oft wurden wir verglichen: Die zwei Power Ladies! Wir hätten Hanni und Nanni sein können. Aber es klickte einfach nicht zwischen uns. Auch nicht, wenn wir uns zum Essen trafen und zumindest ich es ernsthaft versuchte. Ich fand sie langweilig, sie fand mich nervig. Wir hatten nicht die Voraussetzungen für eine Freundschaft.
Frauen im Beruf: "Untereinander die schlimmsten Gegnerinnen"
So weit, so alltäglich. Was zwischen uns passierte war jedoch, dass wir uns mit jedem beruflichen Schritt, den die andere machte, kritischer beäugten. Wir lästerten übereinander, was das Zeug hielt. Wenn ich ein Projekt erfolgreich geschafft hatte, behauptete sie in ihrer Abteilung, ich hätte das nicht selbst gemacht. Wenn sie eine neue Initiative startete, redete ich sie schlecht. Irgendwann bemerkte ich, wie viel Spaß unsere männlichen Kollegen daran hatten, dass wir uns nicht leiden konnten: "Ihr beißt euch ja gegenseitig weg!", hörte ich. "Frauen sind untereinander die schlimmsten Gegnerinnen!"
Sympathie und Antipathie, Fähigkeit und Unfähigkeit, sind wie alle anderen Merkmale normalverteilt: Unabhängig davon, mit welchem Geschlecht eine Person sich identifiziert, können wir mit ihr klicken oder auch nicht. Und doch erzählen viele die Geschichte von der Stutenbissigkeit, von den weiblichen CEOs, die sich nur Männer in ihren Vorstand holen wollen. Den Chefinnen, die ihre Mitarbeiterinnen schärfer beurteilen. Den Jungs-Mädels, die über frauenfeindliche Witze lachen und über andere Frauen lästern.
Für die Recherche meines Buches "Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte: Warum im Berufsleben nicht alle die gleichen Chancen haben und wie wir uns trotzdem durchsetzen" habe ich mit 15 Frauen gesprochen, die es in ihrem Feld an die Spitze geschafft haben: Ob im Vorstand eines Konzerns, als Unternehmerinnen, Investorinnen, in der Kulturszene oder in der Politik. Sie alle haben mir bestätigt: Es gibt sie, die Frauenkonkurrenz – aber sie ist nicht ansatzweise so weit verbreitet, wie man gerne suggeriert. Und vor allem: Sie stirbt immer mehr aus.
Internalisierte Unterdrückung
Das Phänomen heißt "internalisierte Unterdrückung": Frauen verinnerlichen die Regeln einer männlich geprägten Arbeitswelt so sehr, dass sie sie gegen andere Frauen anwenden. Die aktuelle Arbeitswelt ist von Männern für Männer gebaut – der weiße Mann das Din A4 Blatt der Arbeitswelt, männliches Verhalten die Norm. Das liegt auch daran, dass Frauen historisch gesehen erst einen Wimpernschlag lang ein Teil dieser Arbeitswelt sind: Vor rund 10.000 Jahren begann mit der Landwirtschaft das Konzept von Besitz und damit der Erwerbsarbeit. Seit 1977 dürfen Frauen ohne Erlaubnis des Mannes arbeiten. Noch im Kaiserreich, also vor etwas mehr als 100 Jahren, gab es das Lehrerinnenzölibat: Frauen mussten sich entscheiden, ob sie als Lehrerin arbeiten oder Familie haben wollten.
Die Mechanismen stecken also sehr tief in der DNA unserer Arbeitswelt. Es ist noch keine 20 Jahre her, dass mit der Niederländerin Karin Dorrepaal im Jahr 2004 die erste Frau in einen DAX-Vorstand eingezogen ist. Gerade die erste Generation der Frauen, die Anspruch auf Positionen anmeldete, die bisher ausschließlich Männern vorbehalten waren, wusste: Da ist maximal ein Platz am Tisch für jemanden, die anders ist.
Und es gibt einen weiteren Grund, der das Bild von erfolgreichen Frauen, die einander an die Gurgel gehen, so verfänglich macht: Weil wir das schon von Kindheit lernen, dass für Frauen eigentlich nur drei Arten der Beziehung gibt. In der ersten sind sie beste Freundinnen – Hanni und Nanni, Bibi und Tina – nichts kann sie entzweien. In der zweiten sind sie die Einzige – die eine Hermine, Schlumpfine, Gabi bei "TKKG" – und machen bei den Jungs mit. Und in der dritten sind sie verfeindet: Die böse Stiefmutter, die Frauen, die um den Mann kämpfen. Beste Freundinnen, erbitterte Feindinnen, alleine unter Jungs: Dazwischen ist wenig. Und es gibt generell weniger Vorbilder für Mädchen: Eine Studie der Uni Rostock hat im Jahr 2007 knapp dreitausend Kinderprogramme der gängigen Sender untersucht. Knapp drei Viertel der Protagonist:innen waren männlich, sogar bei Fantasiepflanzen waren es 88 Prozent. Auch in Erwachsenenfilmen gilt: Selbst wenn eine Frau die Hauptfigur ist, hat sie maximal die Hälfte des Redeanteils. Mädchen sehen also: Es gibt wenige Plätze, auf die wir uns aufteilen müssen.
Neues Gesetz soll helfen
Ein neues Gesetz hebelt genau das aus: Es kann nicht nur mehr als eine geben, es muss. Zum Jahreswechsel 2022 auf 2023 ist die EU Führungspositionen-Richtlinie in Kraft getreten, die auch der Bundestag im Februar angenommen hat. Bis 2026 müssen 40 Prozent der Mitglieder in Aufsichtsräten und 33 Prozent in Aufsichtsräten und Vorständen börsennotierter Unternehmen in der EU weiblich sein. Frauen müssen sich dann nicht mehr um "den einen" Stuhl am Tisch kloppen. Sie müssen nicht mehr so tun, als wären sie das weiße Din A4 Blatt, der Standard. Denn durch die neue Gesetzgebung sind sie mittelfristig auch kulturell nicht mehr in der Unterzahl: Die Arbeitswelt kann sich verändern.

Und noch eine zweite Veränderung stellt sich der internalisierten Unterdrückung in den Weg, wie mir in den Gesprächen für mein Buch klar wurde: Der Zeitgeist hat sich geändert und zwar in rasanterer Geschwindigkeit als je zuvor. Sexistische Kommentare und frauenfeindliche Witze sind weniger akzeptiert als noch vor fünf Jahren. Nicht nur durch Bewegungen wie MeToo, auch durch die Erkenntnis, dass es strukturelle Probleme gibt, die Chancengleichheit in der Arbeitswelt verhindern. Vor allem Manager mit Töchtern geben an, sich stärker für Chancengleichheit einsetzen zu wollen: Weil sie selbst die Frustration spüren, wenn schon vor der Geburt feststeht, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Person Karriere macht. Und auch in Zukunft nehmen Werte wie Vielfalt und Gerechtigkeit an Fahrt auf: Gerade in den Generationen Z und Alpha geben immer mehr Menschen an, dass diese Werte nicht nur Kaufentscheidungen, sondern auch die Wahl des Arbeitgebers beeinflussen.
Die Rechnung ist also ganz einfach. Wenn es mehr Plätze für Frauen an Führungstischen gibt, ist der Drang, den einen zu verteidigen, weg. Und dann ändert sich die Kultur: Aus dem weißen Din A4 Blatt werden unterschiedliche Größen, Farben, Formen. Das strukturelle Problem, das der internalisierten Unterdrückung zugrunde liegt, verschwindet. Denkmuster und Ängste wie: "Die jüngere, schönere Frau ist meine Konkurrenz" – nehmen ab. Frauen können miteinander arbeiten, ohne beste Freundinnen oder erbitterte Feindinnen zu sein. Auch bauen sie dadurch machtvolle Netzwerke, in denen sie sich gegenseitig nach oben ziehen – das ist schon heute zu beobachten.
Wird es weiterhin Frauen geben, die sich gegenseitig nicht mögen? Ja! Wird es die Arbeitswelt beeinflussen? Nein. Denn das strukturelle Problem der internalisierten Unterdrückung ist auf dem Rückzug – und die Chancengleichheit für alle Menschen auf dem Weg nach vorne.
Hinweis: Mirijam Trunk ist Chief Crossmedia Officer und Chief Sustainability & Diversity Officer bei RTL. Der stern ist teil von RTL Deutschland.