Ein Generationenporträt aus dem hintersten Vorpommern oder die aberwitzige Suche von österreichischen Juden nach ihrer Identität: Darum geht es in zwei der sechs Romane, die am Mittwoch fürs Finale beim Deutschen Buchpreis nominiert wurden. "Poetisch, komisch, experimentell": Auf diesen Nenner brachte Jury- Sprecherin Julia Encke die höchst unterschiedlichen Bücher beim Wettbewerb um den besten deutschsprachigen Roman des Jahres.
Auch in der "Shortlist" ist die große Bandbreite der 20 Titel umfassenden Longlist erhalten geblieben. So bunt und so multikulturell war die Palette der Nominierten wohl noch nie in der Geschichte des Preises, der innerhalb weniger Jahre eine enorme öffentliche Resonanz erfahren hat. Am 4. Oktober, dem Vorabend der Frankfurter Buchmesse, wird die siebenköpfige Jury den Sieger bekanntgeben. Insgesamt ist der vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum sechsten Mal organisierte Preis mit 37 500 Euro dotiert.
Zu den sechs Finalisten gehört neben der ostdeutschen Provinzsaga der 30-jährigen Judith Zander ("Dinge, die wir heute sagten") und dem in Wien angesiedelten Roman von Doron Rabinovici ("Andernorts") auch eine Emigranten-Geschichte aus der Schweiz. Melinda Nadj Abonji, 1968 in der serbischen Vojvodina geboren, erzählt in "Tauben fliegen auf", wie eine der ungarischen Minderheit angehörende Familie von Serbien nach Zürich kommt.
Thomas Lehr hat in seinem neuen Roman ("September. Fata Morgana") zwei Lebensgeschichten von zwei Vätern und zwei Töchtern aus den USA und im Irak miteinander verknüpft - parallel zu den Anschlägen aufs World Trade Center im September 2001. Lehr, der vor seiner Autorenkarriere Programmierer war, kommt in seinem Buch ohne Satzzeichen aus - ohne Punkt und Komma. Peter Wawerzinek hat sich in seinem Buch "Rabenliebe" sein Kindheitstrauma von der Seele geschrieben - er war von seiner Mutter bei deren Flucht in den Westen als Waise einst zurückgelassen worden.
Für einen Auszug aus dem Roman hat der in Rostock geborene 55- jährige Wawerzinek in diesem Jahr bereits den begehrten Ingeborg- Bachmann-Preis erhalten. Jan Faktor, der letzte der sechs Finalisten, war mit seinem Schelmenroman über die eigene frauendominierte Familie ("Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag") schon für den Preis der Leipziger Buchmesse im März dieses Jahres nominiert. Faktor, 1951 in Prag geboren, lebt seit 1979 in Ostberlin und ist der Schwiegersohn von Christa Wolf.
"Es sind Romane, deren Gemeinsamkeit wohl vor allem in ihrer Welthaltigkeit zu finden ist", meint Encke, Literaturkritikerin der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Eine ganze Reihe bekannter Autoren von der Longlist ist auf der Strecke geblieben, darunter der Büchner-Preisträger Martin Mosebach mit seinem neuen Roman "Was davor geschah" und Hans-Joachim Schädlichs Buch "Kokoschkins Reise".
Aber Ziel des Deutschen Buchpreises ist es auch, jüngeren und noch wenig bekannteren Autoren ein Forum zu verschaffen. Der Sieger-Roman hat es in den vergangenen Jahren regelmäßig auf die Bestsellerliste geschafft. 2009 ging der Preis an Kathrin Schmidt ("Du stirbst nicht"). Ein Jahr zuvor war Uwe Tellkamp ("Der Turm") der Gewinner.