David Fincher "Nicht die Morde, die interessant sind..."

In den späten sechziger Jahren terrorisierte der Zodiac-Killer Kalifornien und prahlte mit 37 Morden. Regisseur David Fincher ("Fightclub") verfilmte den Stoff und erzählt im stern.de-Interview von Folterfilmen und warum der "Zodiac-Killer" garantiert nicht mehr lebt.

Mister Fincher, stimmt es, dass Sie bei Ihren Recherchen seinerzeit übersehene Beweise entdeckt haben?

Das nicht, aber wir haben eine Menge neuer Fragen aufgeworfen. Das liegt vor allem an den neuen Technologien im Bereich Handschriftenanalyse oder geografisches Profiling. Dennoch glaube ich nicht, dass der Fall jemals gelöst wird.

Sie sind in Marin County, unweit der Tatorte ausgewachsen und waren sieben Jahre alt, als die Zodiac-Morde passierten. Kamen bei Ihnen während der Recherchen irgendwelche Erinnerungen oder Gefühle von damals hoch?

Das ließ sich gar nicht vermeiden. In den Film ist unglaublich viel von dem Bild und den Vorstellungen, die ich von den siebziger Jahren habe, eingeflossen. Was die Leute trugen, die Schreibmaschinen, die Musik im Radio, die Autos, die Geräusche, die sie machten. Man kann sich von den Dingen, die man kennt, nicht trennen. Und jeder hat eine andere Vorstellung. Wenn ich mir einen Film wie zum Beispiel "Boogie Nights" anschaue - das ist nicht meine Realität der Siebziger.

Wie war das, als Sie mit den in den Fall verwickelten Leuten gesprochen haben? Speziell mit den Überlebenden der Zodiac-Attacken?

Es war ziemlich unangenehm. Jemanden zu fragen, was er gedacht hat, als er mit dem Messer angegriffen wurde, ist verständlicherweise nicht einfach. Aber auch, wenn das jetzt ein bisschen hart klingt: Für mich waren weniger die Morde interessant, sondern die Briefe des Killers, und wie sie seine Gedankenprozesse charakterisieren. Im Großen und Ganzen handelt mein Film über das Bedürfnis etwas zu Wissen und weniger über das Wissen selbst.

Robert Graysmith und Sie scheinen sich in ihrer Akribie und Obsession ziemlich ähnlich zu sein. Täuscht der Eindruck?

Ich weiß nicht, ob ich so zwanghaft bin. Ich bin nicht so eine obsessive Persönlichkeit. Ich möchte Dinge verstehen, um dann in der Lage zu sein, sie den Zuschauern zu präsentieren, wobei ich aber nicht versuche, sie an einen bestimmten Ort zu führen. Das habe ich mit meinen Filmen, "Panic Room" vielleicht ausgenommen, noch nie gemacht. Ich bin keiner, der mit seinem Publikum eine Art Kumpanei eingeht. Im Gegensatz zu Robert verkaufe ich keine Lösung, da sind wir sehr verschieden. Ich kreiere Bilder und Momente, auf die sich das Publikum seinen Reim machen kann, Robert liefert dir einen Standpunkt, der auf Fakten basiert.

Robert Downey Jr meinte, unterm Strich sei "Zodiac" nicht einfach ein Fincher-Film, sondern eine sehr persönliche Angelegenheit. Was meint er damit?

Ich wusste von Anfang an, dass ich keinen Polizei-Thriller machen wollte, sondern einen Zeitungs-Film. Das lag daran, dass ich durch meinen Vater, der Journalist war, viele Reporter wie den von Robert verkörperten Paul Avery kannte. Ich bin mit diesen Jungs quasi groß geworden. Eine Rolle spielt natürlich auch, dass ich die Zeit, in der Zodiac sein Unwesen trieb, als Kind miterlebt habe. Es stecken also schon sehr viel persönliche Erfahrungen in diesem Film, da hat Robert Recht.

Sie selbst bezeichnen "Zodiac" als Ihren ungeschminktesten, schlichtesten Film. Ihr Markenzeichen war bisher eine innovative, visuelle Kraft. War diese Umstellung schwierig?

Nein, es ist halt nur eine andere Art von Film. Aber was für eine! In "Fight Club" prügeln sich die Leute ständig und jagen Gebäude in Luft. Hier hingegen wird viel geredet. Sehr viel. Die Figuren machen nicht viel, und es passiert auch nicht viel. Und das Publikum ist gezwungen, einen Berg von Fakten zu verarbeiten. Die einzige Währung, die dieser Film besitzt sind: Daten.

Für den Zuschauer harte Arbeit...

Ja. Das ist der Versuch, die Leute auf andere Art und Weise zu - ich hasse dieses Wort - unterhalten. Und die entscheidende Frage ist, ob sie sich auf dieses Dialog- und Fakten-Gewitter zwei Stunden und vierzig Minuten lang einlassen. Können die so lang stillsitzen? Ich weiß es nicht. Wie war es bei Ihnen?

Ich fand es sehr spannend, mir kamen diese zweieinhalb Stunden vor wie 90 Minuten. Ich bin allerdings auch ein großer Fan des Watergate-Films "Die Unbestechlichen", auf den Sie sich ja auch berufen.

Das Problem war, dass der Film in Amerika als Reißer im Stil von "Sieben" verkauft wurde. Das ist er definitiv nicht. Deshalb war er dort auch nicht so erfolgreich. Die Leute hatten scheinbar was anderes erwartet.

Sie zeigen die Zodiac-Morde unglaublich schnell, unmittelbar und brutal...

...genauso waren sie ja auch.

...und arbeiten damit gegen den aktuellen Gewaltporno-Trend mit Werken wie "Saw" oder "Hostel". Was halten Sie von solchen Filmen?

Diese neue amerikanische Vorliebe an Folter ist mir ein Rätsel. Auf mich wirken diese Filme nicht zu Ende gedacht. In "Sieben" ging es auch um Erniedrigung, und die Verbrechen darin waren nicht weniger grausam, aber muss man das Detail für Detail durchstehen? Die Dinge, die wir damals nur angedeutet haben, sind plötzlich Hauptpunkt der Geschichte. Ich finde das extrem beunruhigend.

Haben Sie eine Theorie, warum das Serienkiller-Phänomen besonders in den USA so stark ist?

Ich weiß gar nicht, ob das ein amerikanisches Phänomen ist. Serienkiller gab es auch in anderen Teilen der Welt. Aber diese bizarre Mischung aus Freiheitsliebe und Puritanismus bildet in Amerika sicherlich einen besonderen Nährboden. In England etwa kompensieren die Menschen ihren Frust über gesellschaftliche Verhaltensregeln mit viel Humor. In Amerika hingegen scheinen die Leute geradezu gezwungen zu werden ihre dunklen Geheimnisse an den Rändern der Gesellschaft auszuleben. Und deren bestimmte Art von Selbstgerechtigkeit scheint tatsächlich ein amerikanisches Phänomen zu sein. Hier gilt der Anspruch, es besser zu haben und mehr zu besitzen. Ein Serienkiller verschafft sich durch seine Taten Macht und Kontrolle und meint damit einen Weg gefunden zu haben, in die Gemeinschaft zurückkehren zu können.

Inwiefern hatte Zodiac Einfluss auf die Medien und die Popkultur?

Außer vielleicht Jack the Ripper hatte keiner dieser Geisteskranken so einen direkten Draht zur Öffentlichkeit. Die Zeitungen haben seine Briefe ungefiltert veröffentlicht. Es wurde ihm sogar ermöglicht, sich in einer Fernsehshow zu äußern, weil sich die Ermittler davon versprachen, ihn überführen zu können. Und er wird sich sicherlich auch geschmeichelt gefühlt haben, dass sein Fall Filme wie zum Beispiel "Dirty Harry" inspiriert hat. Interessant ist, dass Zodiac aufhörte zu töten, als von etwas abhängig wurde, das weit mehr berauschend war, als Leute zu töten.

Nämlich?

Die Presse. Deshalb behauptete er auch für Morde verantwortlich zu sein, die er gar nicht begangen haben konnte. Er war süchtig danach, in der Zeitung zu stehen.

In seinem letzten Brief schrieb Zodiac: "Ich warte auf einen guten Film über mich." Haben Sie sich mal vorgestellt, dass Sie seinen Wunsch erfüllt haben, und er sich in irgendeinem Kino "Zodiac" anschaut?

Zodiac lebt nicht mehr - auch wenn es nicht Arthur Leigh Allen war, der als Hauptverdächtigter galt. Der Täter war damals etwa in den späten Vierzigern und wahrscheinlich...

...wäre er heute so Mitte 70.

Ja, stimmt. Aber nein, er lebt nicht mehr. Sonst hätten wir sicherlich von ihm gehört.

Interview: Bernd Teichmann

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