Telenovela Bye-bye, Bianca!

Was Sucht bedeutet, lernte unsere Autorin Evelyn Holst erst, als das ZDF eine Telenovela in ihr Leben treten ließ. Nach 224 Folgen heißt es nun Abschied nehmen.

Ich bin absolut kein Suchttyp. Nie gewesen. Ich rauche nur abends und nie mehr als fünf Zigaretten, nach zwei Gläsern Wein fühle ich mich bereits volltrunken, und ich habe bis auf eine einzige Ausnahme noch keinen Mann bedrängt, der mich nicht mehr wollte. Ich bin eine ausgeglichene Ehefrau und Mutter, mein IQ ist dreistellig, ich lese regelmäßig das, was man "ein gutes Buch" nennt.

Doch dann trat Bianca in mein Leben. Seitdem weiß ich, wie sich Sucht anfühlt. Glühende Sucht, die einen so verzehrt, dass man nur noch an die nächste Spritze denkt.

Es fing ganz harmlos an.

Die erste deutsche Telenovela startete am 1. November 2004 im ZDF, aber da ich nachmittags um 16.15 Uhr noch nie ferngesehen habe, ging der Hype um die Telenovelas, jene Herzschmerzopern aus Südamerika, zunächst an mir vorbei. Ich schaute Arte und die Dritten. Ich war kultiviert und gebildet.

"Guck dir mal Bianca an", schlug ein paar Wochen später ein schwuler Freund vor, "das Ding ist besser als erwartet, und die Schauspieler sind auch richtig gut." Ich war skeptisch, denn "Bianca - Wege zum Glück" klang nach Groschenheft und Omis, die nachmittags Kaffee mit Eierlikör trinken. Es klang nach frustrierten Hausfrauen, die dabei die Familienwäsche bügeln. Es klang nicht nach einem passenden Zeitvertreib für eine Frau mit Abitur, die noch ihre zweiten Zähne hat.

Aber schwule Männer haben Ahnung vom Leben, also schaltete ich kurz vor Weihnachten ein - und es passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Ich blieb hängen. Ich wurde süchtig. Seitdem ist nachmittags von 16.15 bis 17.00 Uhr Bianca-Time, und ich bin nicht ansprechbar. Eine Frauenstimme singt: "I'm a true believer, I believe in me and you", es regnet rote Rosen auf die blonde Bianca, und ich gehe nicht ans Telefon, ich öffne nicht die Tür, ich bin hin und weg. Meine Kinder wissen Bescheid und schalten die Mikrowelle ein.

Es ist schwer, einem Außenstehenden begreiflich zu machen, wie es dazu kommen konnte. Wie eine Geschichte von doch eher schlichtem Zuschnitt - die Heldin Bianca Berger sitzt unschuldig im Gefängnis, lernt nach ihrer Freilassung die Liebe ihres Lebens, Oliver Wellinghoff, kennen, dessen Verlobte leider schwanger ist -, wie solch eine Geschichte also eine bis dahin durchaus intelligente Frau dazu bringen kann, im Ausland in einem Internetcafe zu sitzen, die Bianca-Homepage anzuklicken und nachzulesen, was sie verpasst hat. Dem Ehemann eine Szene zu machen, weil er vergessen hat, Folge 167 aufzunehmen. Kurz: sich wie eine komplette Idiotin zu benehmen.

Was macht mich bloß

so süchtig nach Bianca? Die Geschichte ist banal, die Dialoge sind manchmal hölzern, die Kulissen sehen nach Studio aus. Aber sie begleiten mich jetzt seit fast einem Jahr und sind mir ans Herz gewachsen. Es gibt keine Erklärung. Ich liebe alles an Bianca. Ich lache über die giftigen Dialoge zwischen den beiden Bösen Pascal Wellinghoff und Katy Neubauer: "Du bist ein Schlappschwanz, Pascal." - "Eine Hexe wie du hat ja auch nichts Besseres verdient." Ich habe das Lieblingsgericht von Oliver, Nudeln mit roter Pesto, nachgekocht (köstlich!), ich habe mir sogar den Bianca-Bildschirmschoner heruntergeladen.

Bis jetzt wussten nur meine Kinder Bescheid, die mich und meine "Schwachsinnsserie" total peinlich finden, aber hier und jetzt, kurz nach dem viel zu frühen Serienschluss, finde ich den Mut, mich zu outen. Ja, ich war Bianca-Fan, und ich bin sehr traurig, dass die erste deutsche Telenovela nun zu Ende ist. Ihre Nachfolgerin, "Julia - Wege zum Glück", steht schon am Start. Alle anderen Sender sind auch im Telenovela-Rausch. Aber keine, da bin ich sicher, wird wie Bianca sein. Vielleicht sollte ich mir noch eine Requisite vom Set sichern, ihren Strohhut vielleicht oder den Picknickkorb. Wie es auf der Bianca-Homepage so richtig heißt: "Kleine Dinge - große Gefühle".

Bye-bye, Bianca. Es war schön mit dir.

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Evelyn Holst

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