Die besten Alben Hole: "Live through this"

Konnte es eine bessere Zeit als die frühen Neunziger geben, um in den wüsten Weiten der Musiklandschaft zum Rock-Grrrl zu reifen? Wohl kaum. Nicht mit Holes "Live through this" an der Seite.

Konnte es eine bessere Zeit als die frühen Neunziger geben, um in den wüsten Weiten der Musiklandschaft seine Wurzeln zu schlagen? Wohl kaum. Zumindest dann nicht, wenn ein echtes Rock-Grrrl dabei herauskommen sollte. Pünktlich zum Wechsel des Jahrzehnts hatten sich Frauenhände die Gitarren und Drumsticks unter die blutrot lackierten Nägel gerissen und machten den Jungs nun stimm- und lautstärkegewaltig klar, dass sie diese auch nicht mehr loslassen würden.

Hole waren keine "Seattle-Band"

Ein Album gab es, das sich damals einen Stammplatz in meinem CD-Spieler verdient hat: Holes wunderbares 94er Werk "Live through this". Dummerweise kann man wenig über Hole sagen, ohne den Namen der Frontfrau Courtney Love zu erwähnen. Was dann fast automatisch zu Assoziationen wie "Kurt Cobains Frau", "die Yoko Ono Nirvanas" und endlosen Drogengeschichten führt. Die Band selbst und ihre beispielhafte Musik geraten so viel zu schnell in Vergessenheit. Hole jedoch waren keine "Seattle-Band", sondern stammten aus Los Angeles, und ihr erstes Album, "Pretty on the Inside" war längst veröffentlicht, als Courtney Love den Nirvana-Helden Kurt Cobain ehelichte.

Nein sagen war die Botschaft

Die Botschaft, die ich aus den Liedern der Band immer herausgehört habe, steckt beispielsweise in einer Zeile von "Violet": "You should learn when to go, you should learn how to say no". Klare Worte und laute Bässe anstelle der verkopften und biestigen Feminismus-Diskussionen, die in den Besenkammern der Achtziger verstaubten. Die Mädels von Hole redeten nicht, sondern hämmerten ihre Weltsicht per Radio und MTV durch die Ohren direkt in die Köpfe der nicht nur weiblichen Zuhörer. Sie trugen kurze Nachthemden und schwere Stiefel. Und ihr Make-up war nicht verschmiert, weil sie sich nicht schminken konnten, sondern weil es aussehen sollte, als ob Aussehen egal wäre. Ein Name für dieses Phänomen war schnell gefunden: Riot Grrrls. Hole waren nicht die einzigen Vertreter der Gattung – neben ihnen haben sich Bands wie L7, Bikini Kill, Bratmobile, The Breeders, Babes in Toyland, Team Dresch, 7 Year Bitch und Sleater-Kinney zwar weniger Platzierungen in den Charts, aber ebenso große Anerkennung der Rockbabes im Publikum erkämpft.

Der Schmerz und die Welt

Holes "Live through this" hat einiges, was dafür spricht, es dem deutlich krachigeren 91er Album "Pretty on the Inside" vorzuziehen. Die wesentlich bessere Aufnahmequalität zum Beispiel. Viel entscheidender ist jedoch, dass Love und Hole-Gitarrist Eric Erlandson 1994 wirklich zu Songwritern geworden waren und ihren Songs endlich auch Melodien gönnten. So hatte Courtney Love Gelegenheit, ihren Seelenschmerz und ihre Wut in allen denkbaren Ton- und Stimmungslagen in die Welt hinauszuschreien. Und wir haben mitgeschrieen, denn Schmerz und Wut sind ja häufig die Quintessenz einer Teenie-Seele. Punkige Stücke wie "Violet", "Plump","She walks on me" und "Gutless" trieben den Puls in die Höhe und die Füße fort vom Boden. Ging sogar der elfenschönen Liv Tyler im Bertolucci-Film "Stealing Beauty" so - in einer Szene hüpft sie mit Walkman in den Ohren und Hole-Songs auf den Lippen durch den Raum. Was mich in meiner Liebe zu diesem Album noch weiter bestärkt hat.

Der Anfang vom Ende

Die sanften Töne in Stücken wie "Softer, Softest", "Asking for it" und "Jennifers Body" sind weit entfernt von allem Balladenhaften. Sie erinnern mehr an den Punkt, wo schon so viel geweint und gebrüllt wurde, dass die Kehle einfach keine lauten Laute mehr hergibt. Eine perfektere Kulisse für ein Mondscheinbad in Selbstmitleid als "Miss World" hat es selten gegeben.

Mitreißendster Hit der Scheibe ist jedoch "Doll Parts", das geradezu danach schreit, als Loves Selbstporträt gedeutet zu werden: von Schmerz und verlorenem Glauben ist da die Rede, von der Gier, mehr zu haben und im Mittelpunkt zu stehen, vom verlorenen Bezug zum eigenen Körper. Für einen Teenie klingt das großartig und nach Lebenserfahrung. Heute klingt es danach, als ob Courtney Love damals schon am Ende war. Kein Wunder, dass das erste echte, kunstvolle Album von Hole auch das Letzte seiner Art bleiben sollte.

Claudia Fudeus

PRODUKTE & TIPPS