Was ist übrig geblieben von der Berliner Wohnzimmerszene? Vor gar nicht allzu langer Zeit bevölkerten dort Anhänger von Indie und Elektronik die heimischen Wände illustrer Bands wie Paula, Mina oder Contriva. Legendäre Konzerte, bei denen sogar VIVA und MTV unbedingt dabei sein wollten. Zu den Pionieren der Szene gehörten damals zwei ungleiche Brüder namens Joe Tabu und GOD.
Warm Up für Paula
Das Bruderpaar tritt nun unter dem Namen »Surf« in Erscheinung - manch einer dürfte 2001 im Vorprogramm der Paula-Tournee schon auf die damals noch vierköpfige Combo gestoßen sein: Oha, dieser Elektro-Sound, fulminant mit Gitarre und echtem Schlagzeug dageboten, zeigte sich teils grooviger und raffinierter als der Haupt-Act, von der skurrilen Bühnenshow ganz zu schweigen.
Nicht unbedingt Zwillinge
Zwei Paradiesvögel, denen man die Bruderschaft kaum abkaufen mag, waren da im Einsatz. Eine imposante Erscheinung mit 120 Kilo Lebendgewicht: GOD, bereits als DJ und Remixer für Todd Terry und Die Fantastischen Vier in Erscheinung getreten. Eher introvertiert und kasperig: Joe Tabu, nach eigenen Angaben mit einer Sammelleidenschaft für Tapes schlechter Schülerbands behaftet.
Musik für gute und schlechte Zeiten
Diesen Auftritt im Hinterkopf, hört man sich das neue Doppelalbum »High Tide & Low Tide« gern genauer an - vor allem wegen des seltenen Vergnügens, sich je nach Stimmung für eine der beiden CDs entscheiden zu können. Ist die Laune eher auf hohem Level, sind die Uptempo-Disco-Tracks auf »High Tide« angemessen, »Low Tide« will eher vor sich hin fließen und meditative Atmosphäre verbreiten. »Unsere Musik ist wie eine Kassette mit Lieblingsliedern, die man für Freunde zusammenstellt,« sagen Surf über sich. Und sie scheinen viele verschiedene Freunde zu haben.
Gewagtes Beach Boys-Cover
Wo die Wurzeln liegen, ist schwer zu verleugnen: Electric Light Orchestra, Heaven 17 und besonders die Sparks haben es Surf angetan. Einmal quer über die Festplatte gezogen wurde auch der Beach-Boys-Klassiker »Long Promised Road«, neben »Firebird« von der britischen Elektro-Kultband White Noise der zweite Coversong des Albums. Durchaus gewöhnungsbedürftig, das Ganze - und leider viel kühler als beim Live-Auftritt. Aber mit ihrer Vielschichtigkeit und dem Mut zum ganz eigenen Soundgesicht können Surf durchaus kleine Wellen schlagen.
Antje Scholz