Billy Corgan, Sänger der Smashing Pumpkins, hat der Welt Bescheid gesagt. Im Sommer vor zwei Jahren ließ er in zwei Chicagoer Zeitungen eine Anzeige anlässlich des Erscheinens seines Soloalbums drucken. Was auf den ersten Blick wie eine Marketingmaßnahme und auf den zweiten wie eine pathetische Danksagung an seine Heimatstadt Chicago wirkte, war letztlich eine offensive Liebeserklärung. An seine alte Band und deren Bedeutung. "Viele haben mir unterstellt, ich würde vor etwas davon laufen", schrieb er. "Aber ich habe nur versucht, das Kind in mir wieder zu finden, das daran glaubte, es könne die Welt mit einem Song verändern." Er wolle seine Band zurück und seine Songs und seine Träume. Und damit wohl auch seine Fans. Es ist schwer, sich einem so direkten Eingeständnis, so naiv formulierter Sehnsucht zu entziehen. Vor allem, wenn der Absender schon 40 Jahre alt ist.
Seit Freitag ist das neue Album der Smashing Pumpkins auf dem Markt. "Zeitgeist" heißt es und ist ein Indiz dafür, dass zumindest der Schlagzeuger Jimmy Chamberlin dem Aufruf Billy Corgans gefolgt ist. Chamberlin gehörte neben Corgan, Bassistin D'Arcy Wretzky und dem Gitarristen James Iha zur Urbesetzung der Band. 1991 brachten die Smashing Pumpkins ihr erstes Album "Gish" heraus, das eine Schneise in die musikalische Landschaft der 90er schlug. Noch waren Anklänge an den Bombastrock der 70er zu hören, aber besonders die ruhigen Nummern prägten schon das Bild der Band, das über all die Jahre und trotz emotionaler und musikalischer Zerwürfnisse Bestand haben sollte. Die Klangfarbe von Corgans Stimme, die in ihrer aggressiven Zartheit an ein wütendes Kind erinnert, hatte einen maßgeblichen Anteil daran.
Umbesetzung und Auflösung
Die folgenden Veröffentlichungen "Siamese Dream" (1993) und das Doppelalbum "Mellon Collie And The Infinite Sadness" (1995) schafften es mit Singles wie "Today", "Disarm" oder "Tonight, Tonight" einer ganzen Generation Teenagern das Gefühl zu geben, sie hätten das von Billy Corgan so gern zitierte Zuhause endlich gefunden. Nach der Trennung von Chamberlin wegen Drogenexzessen 1996 nahmen die verblieben Pumpkins das sehr sanfte Album "Adore" auf. Mit Chamberlins Rückkehr entstand gut drei Jahre später das Metal-lastige "Machina/The Machines Of God" (2000). Bassistin D'Arcy Wretzky verließ die Band danach aus unbekannten Gründen. Corgans gute Freundin Melissa auf der Maur sprang für die "Machina"-Tour ein. Vergeblich. Noch im gleichen Jahr gab Billy Corgan die Auflösung der Band bekannt.
Es war ein Schock für die Fans, die von den Smashing Pumpkins jahrelang mit einer Zuneigung behandelt wurden, die bei einer kommerziell so erfolgreichen Band verwundern mag. Da war der enge Kontakt zu den Fan-Clubs. Oder das extra produzierte Album "Machina II/The Friends & Enemies of Modern Music", das nur an treue Fans und Freunde verteilt wurde, mit der ausdrücklichen Bitte, die Songs im Internet für alle zum kostenlosen Download bereit zu stellen. Und da war der Mitschnitt des ersten Auftritts der Pumpkins, den Corgan auf dem Abschlusskonzert im Publikum verteilen ließ. Als Abschiedsgeschenk.
Die größtmögliche Angriffsfläche
Auch die jetzt zur "Zeitgeist"-Tour ausgerufene "open-source taping-policy", die es den Fans ermöglicht, alle Auftritte legal mitzuschneiden, klingt wie eine Aufforderung: Kommt uns nahe. Und das ist es wohl, was Billy Corgan will. Er, das nach eigener Aussage "geprügelte Kind", ist bereit, sich dafür bis auf die Knochen bloß zu legen. Sei es in Interviews, in seinen Songtexten, in veröffentlichten Gedichten oder seinem Internet-Blog - er bietet immer die größtmögliche Angriffsfläche. Er erzählt von Selbstzweifeln, Depressionen, Suizidgedanken. So offen, als wolle er der Welt damit gewaltsam ihre Zuneigung abringen - einen Gequälten stößt man nicht weg. Corgan, der Intellektuelle, tut das sicher nicht unreflektiert. Aber der Wunsch, für seine Kunst geschätzt oder sogar geliebt zu werden, ist einfach zu groß.
Jimmy Chamberlin hat ihm jedenfalls über all die Jahre und Dispute hinweg die Treue gehalten und "Zeitgeist" mit ihm aufgenommen. Neu dazu gekommen sind Jeff Schroeder an der Gitarre und Ginger Reyes am Bass. Ob D'Arcy Wretzky und James Iha für die Wiedervereinigung der Smashing Pumpkins überhaupt in Erwägung gezogen wurden, ist unklar. Gerüchten zu Folge soll Iha auf der USA-Tour wieder dazu stoßen. Bestätigt ist das nicht. Vor allem aber kann sich Billy Corgan seiner Fans wieder sicher sein. Denn auch wenn die Auftritte mit seiner zwischenzeitlich zusammen mit Chamberlin gegründeten Band "Zwan" ihn ansteckend optimistisch wirken ließen, wurde das Projekt nach nur einem Album wieder eingestampft und sein Soloausflug blieb mäßig erfolgreich.
Weniger Pathos
Die bisherigen Konzerte der Smashing Pumpkins dagegen waren ausverkauft und die Band wurde wie in ihren besten Tagen bejubelt. Dabei lässt "Zeitgeist" den Pathos früherer Werke vermissen. Es ist ein lautes Album geworden, eines, dessen Metal-Gitarren wenig Raum lassen für nachdenkliche Zwischentöne. Erst mit dem achten Song kanalisiert sich die haltlose Wut, die das Album trägt in Melodien, die einen glauben machen, die Band sei noch die Alte.
So sind es bei den Live-Auftritten auch vor allem die früheren Songs, die gestützt von Corgans Stimme Emotionen heraufbeschwören, die man vergessen zu haben glaubte. Eine Ahnung von wahrem Glück, das Gefühl, Großes erreichen zu können und die Bestätigung, das selbst besinnungsloser Schmerz einen Sinn hat. Diese Stimme, wärmt wie ein kratzender Wollpullover an schneidend kalten Tagen. Sie vermittelt selbst in den aufrührerischen Songs Geborgenheit und schafft das, wo nach Billy Corgan vielleicht noch viele Jahre suchen wird: ein emotionales Zuhause.