Wacken Open Air Das "Metal-Woodstock" aus dem Norden

Bier, Bratwurst und harte Klänge: Rekordverdächtige 72.500 Metal-Fans aus aller Welt machten zum 18. Mal ein kleines Dorf in Schleswig-Holstein zum Mittelpunkt der Heavy-Metal-Szene. Die knapp 1800 "Ur-Einwohner" machen das Beste draus.
Von Karin Spitra

Über dem Meer an Zeltdächern hängt ein latenter Geruch von - sagen wir, wie's ist - Scheiße. Kein Wunder, denn wo sich heute Zelt an Zelt drängt und kilometerweit Auto an Auto parkt ist den Rest des Jahres Wiese, Koppel und Acker. Aber jeweils am ersten Wochenende im August, wächst mit atemberaubender Geschwindigkeit eine riesige Zeltstadt aus dem Boden, in deren Mitte ein riesiger Platz mit vier Bühnen liegt: das Festivalgelände des"Wacken:Open:Air 2007" (WOA). Auch in diesem Jahr wiederholte sich das Schauspiel. "Same procedure as every year", sozusagen. Anders war diesmal nur die Zahl der angereisten Festivalbesucher: 72.500 Besucher, hieß es am letzten Tag, seien gekommen.

1850 Ur-Einwohner und 72.500 Wochenendgäste - an einem einzigen Wochenende wohlgemerkt - das könnte auch gewaltig ins Auge gehen. Könnte. Tut es aber nicht. Denn die 1850 Ureinwohner leben im idyllischen Örtchen Wacken (Kreis Steinburg) und die 72.500 Wochenendgäste pilgerten auch in diesem Jahr wieder nach Schleswig-Holstein, um beim mittlerweile größten Metal-Festival der Welt dabei zu sein. An ein "friedliches Woodstock" fühlte sich Polizeisprecher Michael Baudzus dabei erinnert. Angesichts dieser Menschenmassen seien die wenigen Einsätze schlicht "zu vernachlässigen", so Baudzus. Und auch die Wackener wissen inzwischen recht gut, was sie an den Musik-Jüngern haben: Zahlungskräftige Gäste.

Dabei sah es anfangs für das martialische Mega-Event gar nicht gut aus: Der regnerische Juli hätte das Festival um ein Haar absaufen lassen. "Wir hatten hier 350 Liter Regen pro Quadratmeter in sechs Tagen," beschreibt Thomas Hess, Produktionsleiter des WOA die Ausgangslage. Auf den Feldern, wo eigentlich Autos parken und Metal-Fans campieren sollten, versank man knöcheltief im Morast. "Hätte es auch Donnerstag morgen noch geregnet, wir hätten das Festival nicht stattfinden lassen können", so Hess. Demnach sei die Entscheidung, das Festival beginnen zu lassen, tatsächlich erst Donnerstag um 16 Uhr gefallen, als bereits der Großteil der Besucher angereist war.

Mit einem Helikopter gegen den feuchten Boden

Doch die Veranstalter kämpften mit einem Großaufgebot an Technik gegen den Wettergott - und gewannen: Mit Drainagen wurden die Hauptfläche vor den Bühnen trocken gelegt. Über 40 Sattelzüge transportierten die oberste Bodenschicht ab, sie war völlig durchweicht. 5000 Quadratmeter Vlies wurde ausgelegt, darüber kam eine Schicht aus über 150 Tonnen Hächsel und darauf wieder Unmengen von Stroh. Um die Park- und Campingflächen trocken zu kriegen wurde sogar ein Hubschrauber angemietet, der im Tiefflug über die Felder düste - und mit seinen Rotorblättern die Fläche trocknen sollte.

Doch Donnerstag um 16 Uhr wurden die Festivaltore geöffnet - und die schwarz gekleideten Menschenmassen ergossen sich auf den Platz zwischen den verschiedenen Bühnen. Unter den stampfenden Akkorden und infernalischen Lärm der britischen Gruppe "Blitzkrieg" begann die erste der über 70 Bands zu spielen. So international wie die Besucher, waren auch die Show-Acts: Von Australien ("Rose Tatoo"), über Polen ("Vader") und den USA ("Type O Negative") schaffte es sogar eine Band aus Japan ("Dir En Grey") auf das Festival-Billing.

Wer nicht da ist, ist unwichtig

Neben den 'großen Namen' wie "Saxon", "Turbonegro", "Lacuna Coil", "Dimmu Borgir", "JBO", "Blind Guardian", "Schandmaul", "In Flames" oder "Subway to Sally", tummelten sich noch zahllose andere Vertreter der diversen Metal-Stilrichtungen auf den vier Bühnen. So kamen auch Liebhaber von Trash-, Death, Speed-, Prog-, Grind-, Black-, True- oder Was-auch-immer-Metal auf ihre Kosten. Weghören war bei der ohrenbetäubenden Lautstärke von 120 Dezibel (entspricht einem startenden Düsenjet) sowieso sinnlos.

Von Donnerstag bis Samstag zelebrierten die Massen dann friedlich ihre Musik und Kultur - und erstmals nahmen auch die "normalen" Medien vom WOA richtig Notiz. Nach langen Jahren, in den denen Metal als Nischenprodukt ein Schattendasein führte, sind die harten Töne und bedrohlichen Posen wieder salonfähig. Den medialen Durchbruch hat das Wacken aber, sowieso schon immer ein Leuchtturm der Heavy-Metal-Szene, ausgerechnet einer Koreanerin zu verdanken.

"Full Metal Village" machte das Feuilleton aufmerksam

Denn der mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilm "Full Metal Village" der koreanischen Regisseurin Sung-Hyung Cho lief seit den Frühjahr in den Programmkinos auf und ab. Darin porträtiert sie mit einem Augenzwinkern und sehr amüsant den Umgang der Wackener Ur-Einwohner mit den Besuchern. Und plötzlich berichteten seriöse Nachrichtensendungen wie "Tagesschau" und "heute", "ARD-Morgenmagazin" und viel andere über den Beginn der nördlichen Metal-Sause.

Offiziell fing das WOA zwar erst am Donnerstag, Schlag 16 Uhr an, die meisten Fans waren freilich bereits in Laufe des Mittwoch angereist um sich auf dem riesigen Camping-Areal einzurichten. Der Stau bei der Anreise kam für die meisten Metal-Jünger sowieso nicht überraschend, also machten sie das Beste daraus: Sie stellten die mitgenommenen Sofas auf die Autobahn und warfen den Grill an. Bei einer Staudauer von acht Stunden auf zehn Kilometern hatten sie auch alle Zeit der Welt für ihre "Autobahn-Metal-Party"!

Verletzungen durch Alkohol und Stürze

Am frühen Sonntagmorgen endete um drei Uhr morgens dann das 18. WOA. Friedlich. Von den 72.500 Besuchern kamen in diesem Jahr nur 200 Fans kurz ins Krankenhaus, meist wegen übermäßigem Alkoholkonsum oder wegen Stürzen - verursacht durch übermäßigem Alkoholkonsum. Von zwei Menschen, deren Lieblingshobby wohl auch den Grundstein für eine innige Festival-Freundschaft gelegt hatte berichtete denn auch die WOA-Zeitung "Festival News": André Seiler, den 2,31 Promille kurzzeitig in die Klinik brachten, traf dort einen fast ebenbürtigen Gegner. André Speckmann lag dort mit immerhin 1,68 Promille und hatte auch gleich eine Erklärung parat: "Ich habe einen Haufen Iren getroffen - die können saufen..." Die beiden Metaller jedenfalls wollten den Rest des Festival im Doppelpack genießen.

Lediglich die Feuerwehr hatte am Abreisetag wieder alle Hände voll zu tun. Sie mussten wegen des mittlerweile traditionellen Abbrennens der Zelte auf den Campingplätzen immer wieder ausrücken. Übrigens: Für kommendes Jahr wurden allein am ersten Festival-Tag bereits 6000 Tickets abgesetzt. Die Veranstalter rechnen wieder mit einem ausverkauften Festival. Und die Wackener? Im Film "Full Metal Village" meinte ein Bauer: "Früher haben wir Kühe gemolken - heute melken wir Metaller." Na dann...

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