Ich sitze mit einer Drei- und einer Fünfjährigen im Schlafanzug auf dem Sofa, um fernzusehen. Ausnahmsweise dürfen sie sich vor dem Schlafengehen eine DVD aussuchen und sie entscheiden sich für – oh, nein: "Hey, hey, Wickie! Hey, Wickie, hey!", ertönt es aus dem Fernseher und vom Sofa. Die beiden Mädels strahlen mich an: "Extra für dich, Vicky!" Der blöde Wikinger hat mich eingeholt.
Vor ungefähr 20 Jahren machte ich das erste Mal Bekanntschaft mit Wickie. Plötzlich war mein Name (Viktoria) und der damit unumgängliche Spitzname (Vicky) Anlass genug, um sich mit dem Finger einmal um die Nase zu fahren und laut "Ich hab's!" zu schreien. Riefen mich meine Freunde auf dem Schulhof, ertönte aus verschiedenen Ecken die Titelmelodie der Kinderserie, "Hey, hey, Wickie ...". Noch bevor ich wusste, wer er war, hasste ich diesen kleinen Wikinger. Seine Geschichten habe ich schon aus Prinzip gemieden. Denn noch schlimmer als die musikalische Untermalung meines Namens und das ständige Um-die-Nase-Wischen war die Tatsache, dass ich vermeintlich zu Wickie "Ey, Wickie, wie war das noch letztens, als du die dicke Frau besiegt hast?" oder wenigstens zur Wickie-Expertin geworden war: "Ist Wickie eigentlich ein Junge oder ein Mädchen? Schließlich hat er lange Haare und trägt einen Rock. Und Wickie ist doch ein Mädchenname, oder? Oder?"
Danke, Bully!
Im Laufe meiner Schulzeit verschwand Wickie langsam, aber sicher in der Versenkung. Die Trickfilmserie, die das ZDF von 1972 bis 1974 zusammen mit einem japanischen Zeichentrickstudio produzierte, wurde - Gott sei Dank! - nur noch selten im Kinderprogramm gezeigt. "Spider-Man" und die "Teenage Mutant Hero Turtles" waren die neuen TV-Helden. Ich hatte meine Ruhe. Es kam nur noch selten vor, dass ich mit der verhassten Titelmelodie begrüßt wurde. Doch es war eine kurze Ruhephase: 2009 brachte Bully Herbig die Geschichte von Wickie mit großen Erfolg auf die Kinoleinwände, 2011 gab es folgerichtig einen zweiten Teil. Und inzwischen ist die alte Zeichentrickserie wieder angesagt – bei Kindern und natürlich bei deren Eltern, die schon früher Wickie-Fans waren.
Zusammen mit den zwei Mädels auf dem Sofa habe ich mir dann tatsächlich die erste Wickie-Geschichte meines Lebens angesehen. Und ja, ich gebe es zu, es gibt viel schlimmere Kinderhelden. Wickie ist witzig und schlau. Wahrscheinlich hätte ich stolz auf die Vergleiche sein können, wenn ich vor den blöden Sprüchen die Geschichten gekannt hätte. Auch wenn er optisch nicht unbedingt zum Vorbild taugt, scheint er eigentlich ganz cool zu sein. "Ist Wickie eigentlich ein Junge oder ein Mädchen? Er hat so einen hübschen Rock …", werde ich aus der Sofaecke gefragt. Ich muss meinen nachträglichen Versöhnungsversuch zurücknehmen, ich werde diesen Wikinger auf ewig hassen.