Ukraine – Wenn Krieg Alltag wird Trauer, Tod und Heldenverehrung

  • von Wilfried Geldner
In der Ukraine wird die Katastrophe schnell zur Normalität – und dennoch träumen junge Ukrainerinnen und Ukrainer von einer besseren Zukunft.
In der Ukraine wird die Katastrophe schnell zur Normalität – und dennoch träumen junge Ukrainerinnen und Ukrainer von einer besseren Zukunft.
© ARTE / Moon Man LLC
Nicht nur in der Ukraine, auch in unseren Medien ist der Ukrainekrieg inzwischen Alltag geworden. Verspätet und doch genau zum richtigen Zeitpunkt kommt da ein Film, der in stummen Szenen und ungewöhnlich starken Bildern Abstand nimmt.

Der Angriffskrieg auf die Ukraine, der sich im vierten Jahr befindet und mehrere hunderttausend Tote und Verletzte auf beiden Seiten gekostet hat, scheint zum Alltag geworden zu sein. In den Medien werden die Berichte zur Selbstverständlichkeit, Militärstrategen wechseln in zahllosen Talkshows ihre Argumente, bewaffnete Drohnen spielen dabei neuerdings eine zentrale Rolle. – Umso erstaunlicher, dass da ein Film der ukrainischen Regisseurin Olha Zhurba über den Beginn des Krieges genau zum richtigen Zeitpunkt kommt. "Ukraine – Wenn der Krieg Alltag wird" (viel treffender ist der englische Titel "Songs of burning earth") zeigt kommentarlos und aus nächster Nähe die Angst der ukrainischen Bevölkerung nach dem Überfall, das Schweigen und die Stille, in die die Bomben platzen.

Lösungen, etwa ein Waffenstillstand, sind auch mehr als drei Jahre nach dem Angriff Putins im Februar 2022 noch immer nicht in Sicht. Der Film, der bereits 2023 entstand und kommentarlos die Reaktionen der ukrainischen Bevölkerung auf den russischen Überfall meist nur in stillen Reaktionen zeigt und ihnen friedliche Landschaftsaufnahmen entgegenstellt, entwickelt in seiner Zurückhaltung eine ungeheure Wucht, weil er auf Leitartikel-Parolen verzichtet und stattdessen geradezu zentimetergenau die Betroffenen und ihre Reaktionen zeigt. Hinzu kommt die poetische Visualisierung eines genialen Kamerateams.

Es gibt die Durchsagen der Lautsprecher auf dem Kiewer Bahnhof kurz nach Ausbruch des Krieges. Man ist mitten unter den Fliehenden, die in den Zügen Einlass finden wollen. "Nehmt Rücksicht auf Frauen und Kinder", heißt es. "Herrscht jetzt Krieg?", fragt eine Frauenstimme die Rettungsleitung. "Ja, es scheint so", antwortet die so hart wie bestimmt. Es gibt keine Erklärungen. Die Nahaufnahmen eines weinenden Fahrers hinter dem Lenkrad eines Transporters und Kommandos, wie "Verlasst die Stadt, holt die Kinder raus", erklären sich selbst.

Bilder, die man nicht so schnell vergisst

Ein Fahrzeug fährt an verbrannten Autos und Panzerteilen vorbei, spärliche Handydurchsagen berichten von der Orientierungslosigkeit versprengter Menschen. Es sind immer nur Dritte, deren Satzfetzen zu verstehen sind. Kilometerangaben geben zuweilen die Entfernung von der Frontlinie bekannt. Zuletzt ist man in Lemberg, über 1.000 Kilometer von der Frontlinie entfernt. Pathologen sezieren und beschreiben im Off verkohlte Leichen. Eine Frau glaubt nicht an den Tod ihres Mannes, doch die Beweise werden der Frau behutsam hergezeigt.

Das stärkste aller Bilder ist freilich eine Überlandfahrt – wie immer mit subjektivem Kamerablick. Am Straßenrand knien im Nebel Menschen, verbeugen sich vor toten Soldaten, ihren "Helden", wie man später erfährt. Es dürfte eine der eindrucksvollsten Kamerafahrten der Filmgeschichte sein.

In einem Reha-Zentrum machen Invaliden mit ihren Prothesen zuletzt erste Gehversuche – etwas zu hurtig, wie es scheint. "Die Sneakers sind toll", sagt einer, der sicher nie unterzukriegen ist. Schade, dass dann am Ende irgendwo mitten in Russland noch eine Schülerkompanie zum Soldatenlied marschieren muss. Offensichtlich wollte die ukrainische Autorin da doch noch mal Flagge zeigen.

Ukraine – Wenn Krieg Alltag wird – Di. 25.11. – ARTE: 23.20 Uhr

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