Marie, du hast dich aus der Gewalt deines Entführers Michél Fourniret befreien können. Wie geht es dir heute, zwei Jahre nach der Tat und ein Jahr nach der Überführung des Verbrechers?
Danke. Gut.
Was passierte damals?
Ein fremder Kerl lockte mich in seinen Lieferwagen. Er behauptete, Lehrer zu sein, und gab vor, den Weg zu einem Kloster zu suchen. Leider glaubte ich ihm. Als ich eingestiegen war, raste er los. Ich bekam einen Schrecken und fragte ihn, ob er Mitglied der Dutroux-Bande sei. "Nein, ich bin viel schlimmer", antwortete er. Daraufhin fing ich laut zu beten an. Das ging ihm so auf den Wecker, dass er anhielt, mich in den Laderaum zerrte und fesselte. Ich bekam Todesangst, aber irgendwie konnte ich mich beherrschen. Zum Glück schaffte ich es dann ohne Panik, mich zu befreien. Als der Transporter Tempo zurücknahm, sprang ich raus.
Während das Auto noch fuhr?
Ja, aber er fuhr langsam, außerdem ging es doch um Leben und Tod. Eine Autofahrerin hinter uns hielt an und half mir in ihren Wagen. Während ich erzählte, was passiert war, fuhr sie zur Gendarmerie. Ein paar Stunden später nahm die Polizei den Mann fest.
Das war am 26. Juni 2003. Aber trotz der Ermittlungen konnte die Polizei erst ein Jahr später, Ende Juni 2004, Michel Fourniret vor allem als Mädchenmörder überführen.
Wieso das alles so lange dauerte, weiß ich nicht. Aber es war Fournirets Frau, die im Juni 2004 die Verbrechen ihres Mannes anzeigte.
Welche Gefühle löste die Nachricht bei dir aus, dass der Kerl, der dich verschleppt hat, ein mehrfacher Mörder ist?
Danach hatte ich schlaflose Nächte.
Der Fall Fourniret
Die Geschichte der heute 15 Jahre alten Marie-Ascensión Kirombo machte Ende Juni 2004 Schlagzeilen in aller Welt. Damals wurde bekannt, dass das Mädchen die belgische Polizei auf die Spur des französischen Massenmörders Michel Fourniret gebracht hatte. Fourniret war nach der versuchten Entführung Maries im Jahr 2003 verhaftet worden und saß ein Jahr in U-Haft. Die Behörden waren damals - so die Vorwürfe der belgischen Presse und Opposition - intensiv mit dem Dutroux-Prozess beschäftigt, sodass sie dem Fall Fourniret nicht genügend Aufmerksamkeit schenkten. Aktiv wurde die Kriminalpolizei erst wieder, nachdem Fournirets Frau ihren Mann als mehrfachen Mädchenmörder angezeigt hatte. Im nächsten Frühjahr soll der Prozess gegen den Franzosen beginnen. ...Marie Kirombo? Das belgische Mädchen geriet Ende Juni 2003 in die Fänge eines Mannes, der erst zwölf Monate später als Massenmörder überführt wurde Marie-Ascensión Kirombo mit ihrem Vater im belgischen Heimatort Ciney. Michel Fourniret (unten links) nach seinem Verhör am 30. Juni 2004. Er hat inzwischen neun Morde gestanden
Und wie verarbeitet man solch ein Erlebnis?
Ein Trauma hatte ich nicht. Direkt nach dem Kidnapping habe ich Hilfe erhalten, vor allem von meinen Eltern, meinen Geschwistern und auch von Lehrern. Mein Vater riet mir, mich ruhig zu verhalten und kein Drama aus dem Fall zu machen. Ich sollte mich erst als Opfer outen, wenn ich das Bedürfnis hätte. Mein Vater meinte: "Bleib wie du bist." Für meine Clique und in der Schule bin ich ganz die Marie Ascensión von früher. Niemand versuchte, eine Sensation daraus zu machen. Alle, mit denen ich darüber sprach, waren zurückhaltend.
Es gab keine schwierigen Momente?
Vor den Justizbeamten auszusagen war schon schwer; die mussten für die Protokolle alles präzise wissen. Das fand ich belastend. Eine Psychologin hat mich in dieser Phase gut aufgefangen.
Was machst du gerne?
Ich spiele Volleyball, lerne Klavier spielen und spare für ein eigenes Piano.
Hast du schon über einen Beruf nachgedacht?
Ich möchte einmal Anwältin werden. Dann bist du womöglich mit Typen wie Fourniret konfrontiert. Das ist jetzt noch kein Thema für mich.
Im Prozess wirst du ihm gegenüberstehen müssen.
Ich übe das schon. Ich möchte testen, ob ich vor Fremden meine Gefühle beherrschen kann. Dieses Interview mit dem stern gehört auch zu den Vorbereitungen für meine Rolle als Zeugin.
Welche Strafe verdient Fourniret?
Beim Kommunionsunterricht haben wir darüber diskutiert. Die meisten forderten, dass er gehenkt werden müsste. Das finde ich nicht.