Es kommt nicht auf die Länge an. Ein Film ist nicht zu kurz oder zu lang, er ist höchstens gut oder schlecht. Findet auch Regie-Altmeister Martin Scorsese. Dessen neues Werk "The Irishman", das nach ein paar Tagen im Kino nun bei Netflix angelaufen ist, sorgt unter den Filmfans rund um die Welt für Diskussionen.
Gegen den verbreiteten Vorwurf, sein Mafia-Epos sei mit stolzen 209 Minuten – genau, das sind drei Stunden und 39 Minuten – doch deutlich zu ausführlich geraten, wehrt sich Scorsese persönlich. Der Punkt bei diesem Film sei die Fülle an Details: "Es handelt sich um einen kumulativen Effekt, der bis zum Ende des Films durchgezogen wird", so der Regisseur im Interview mit "Entertainment Weekly". "Das bedeutet auch, dass man ihn sich von Anfang bis zum Ende anschauen kann, wenn es einem zusagt."
"The Irishman" und eine gewisse Zähheit
Das gilt allerdings nicht für alle Zuschauer. So schreibt Filmkritiker Arno Raffeiner, die Geschichte entwickele "eine gewisse Zähheit, die sich auf dem heimischen Sofa, mit Vorspultaste und Ich-hol-noch-mal-Erdnussflips-Pausen, bestimmt weniger bemerkbar macht." Bei Twitter schlagen einige User in die gleiche Kerbe:
Andere halten den Film gar ganz grundsätzlich für gestrig:
Manchen kann er dagegen gar nicht lang genug dauern:
Immer wieder wird auch der Vorwurf laut, dass es sich bei "The Irishman" um einen Film von und mit alten weißen Männern handele, was als Kritik natürlich vordergründig woke daherkommt, andererseits natürlich dem Genre geschuldet ist:
Dass Oscar-Gewinnerin Anna Paquin als eine der prominentesten Frauenfiguren des Films, Peggy Sheeran, im Erwachsenenalter nur rund zehn Minuten Screentime bekommt und ganze sieben Wörter sprechen darf, ist ebenfalls ein hitzig debattiertes Thema in den einschlägigen Foren. Robert De Niro verteidigt diesen dosierten Einsatz bei "USA Today", indem er ihre Leistung als "unglaublich stark" bezeichnet. Zwar räumt er ein, dass es an manchen Stellen etwas mehr Interaktion zwischen Peggy und seiner Filmfigur Frank hätte geben können, aber man habe sich eben anders entschieden – denn gerade die Wortlosigkeit verleihe ihrem Charakter die Tiefe.
Dem stimmen viele Twitter-User zu. Wer Wörter zähle, habe zudem das Kino nicht verstanden, siehe auch Robert Redford in "All Is Lost":
Es gibt da nur einen Aspekt, den sogar wohlwollende Betrachter als Kritikpunkt aufführen: Die digitale Verjüngung der Charaktere wirkt nicht wirklich überzeugend – denn die CGI-Avatare von De Niro, Pesci und Kollegen mögen im Gesicht zwar 35 Jahre jünger aussehen, bewegen sich aber nun mal trotzdem wie Männer Mitte 70. Das sorgt bisweilen für skurrile Szenen. Es sei eben gar nicht so einfach gewesen, sich als junger Mann zu verkaufen, hat Al Pacino in einer Pressekonferenz zum Film gesagt: "Ein 39-Jähriger hat nicht so große Probleme, aus dem Sessel aufzustehen, wie sie ein 75-Jähriger vielleicht hat." Diese Tatsache zu vertuschen, gelingt den Schauspielern tatsächlich nicht durchgehend:
Letztlich zeigen die diversen Meinungen vor allem, dass sich jeder Filmfreund selbst ein Bild vom "Irishman" machen sollte. Unbestritten ist, dass es sich um einen klassischen Gangster-Film (mit grandioser Besetzung) handelt, wie ihn außer Scorsese heute niemand mehr macht. Kann man gut finden, kann man schlecht finden. Geschmackssache halt. Oder besser gesagt: