Ich bin Fan des FC Bayern und eigentlich müsste ich mir für heute Abend im Spiel gegen Manchester United eine Niederlage wünschen. Eine rote Karte für Philipp Lahm, ein zu Unrecht aberkanntes Tor von Thomas Müller, ein unberechtigter Elfmeter für Manchester in der Nachspielzeit, drei Rooney-Tore aus dem Nichts – etwas in der Richtung.
Denn es ist doch so: Ein echter Fußballfan ist man nur, wenn man flucht, zittert, bibbert, weint und schreit. Ein echter Fußballfan ist man nur, das sagen alle, wenn man leidet. Als der Schriftsteller Nick Hornby im Alter von elf Jahren zum ersten Mal für ein Spiel seines Vereins FC Arsenal ins Stadion geht, schaut er nicht auf den Rasen, er betrachtet die Fans: »Gesichter, die vor Zorn, Verzweiflung oder Frustration verzerrt waren. Sich zu amüsieren, indem man leidet, war für mich ein vollkommen neuer Gedanke.« Im Grunde ist sein ganzes großartiges Buch »Fever Pitch« eine einzige Meditation über den Schmerz, den Ärger, die Wut, die Trauer: Der einzige Spieler, der etwas kann, verlässt dem Club und wechselt zum Erzfeind. Ein Pass landet beim Gegner, überhaupt jeder Pass landet beim Gegner, das Team verliert, das Team verliert schon wieder. Und das man diesen Schmerz nicht nur stoisch erträgt, dass man ihn sogar sucht und willkommen heißt, das macht einen überhaupt erst zum Fußballfan. Über Siege jubeln, das kann ja jeder Tourist. Den wahren Fan erkennt man daran, dass er in der Niederlage, in der Niederlagenserie, im Abstiegskampf und im Abstieg treu zur Mannschaft steht.
Als FC-Bayern-Fan bekommt man an dieser Stelle natürlich ein Problem: Die Mannschaft verliert nicht mehr. Und sie gewinnt nicht nur, sie gewinnt sogar unfassbar schön. So schön, wie der FC Bayern noch nie in seiner langen, ruhmhaften großartigen Geschichte gespielt hat. So schön, dass ich manchmal nach einer besonders gelungen Passstafette über Thiago, Ribéry, Götze, Kross, Thiago, Götze lachen muss. So schön und so überlegen, dass es mir manchmal fast schon peinlich ist. Manchmal denke ich, dass ist eigentlich gar kein Fußball mehr. Das ist Kunst, das ist die Definition von Glück, nämlich der Genuss des Moment und der Gegenwart, ohne jede Sorge und ohne jeden Angst, ohne jeden Gedanken, was die nächsten Spielminuten oder Tage an Schrecklichen und Niederträchtigen bringen könnten.
Fans anderer Vereine schimpfen die Bayern-Anhänger ja gerne »Erfolgsfans« oder »Opportunisten«, die ihr Herz dem Club nicht in bedingungsloser, blinder Liebe verschrieben hätten, sondern allein der vielen Siegesfeiern wegen, dem Festgeldkonto und dem Bayern-Dusel. Wer immer nur gewinne, heißt es dann, kenne nur die eine Seite des Lebens und sei maximal ein halber Fan. Was soll ich also tun? Muss ich mir einen Club suchen, der die ganze Zeit verliert? Wie demonstriere ich meine Liebe und Treue zum FC Bayern? Wie können wir Bayern-Fans beweisen, dass wir »in guten wie in schlechten Zeiten zueinander stehen«, wenn es eben überhaupt keine schlechten Zeiten mehr gibt? Was natürlich auch sein kann: Ich bin ein guter Fan weil ich so verdammt dankbar bin. Und dieses ganze Schmerzgerede ist kitschige Verlierermentalität.
Foto: Urban Zintel