Ich gucke an mir runter, während ich auf der OP-Liege auf den Eingriff warte, den ich mir selber ausgesucht hab. Nachdem die Ärztin den Raum betreten hat, bekomme ich Betäubungsspritzen. Zwölf Stück. In die empfindlichste Region des weiblichen Körpers. Vermutlich die schlimmsten Schmerzen, die ich je erlebt habe – auf jeden Fall die schlimmsten Schmerzen, die ich je freiwillig in Kauf genommen habe. Und der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf schwirrt: Wofür mache ich den Mist hier eigentlich?
Ich habe mich für eine Schamlippenverkleinerung entschieden. So viel vorweg: Ich werde die Entscheidung bereuen.
Schamlippenverkleinerung: Schuld waren meine Komplexe
Fangen wir in meiner Jugend an. Den ersten Zweifel hat meine Mutter gesät, als sie mich mit elf Jahren zur Frauenärztin schleppte, um ihr "etwas zu zeigen". Mein erster Frauenarztbesuch, das erste Mal, dass irgendjemand dort hinschaute. "Das ist ganz normal", sagte die Ärztin meiner Mutter, die erwiderte, dass sie "so etwas eben noch nie gesehen hätte". "So etwas" waren meine Schamlippen, genauer: meine inneren Schamlippen. Die waren nämlich etwas größer als die äußeren und guckten ein bisschen raus. Medizinisch ist das total unproblematisch und wie ich später herausfinden sollte, kommt es so oft vor, dass es eigentlich nicht der Rede wert wäre.
Meine Mutter sah das offenbar anders. Sie meinte es bestimmt nicht böse, doch der Arztbesuch ließ mich zum ersten Mal an meinem eigenen Körper zweifeln. Mit 18 hatte ich einen One-Night-Stand mit einem Mann, der danach rumerzählte, dass ich untenrum aussehe wie ein Gockel. Ja, wirklich.
Ich empfand pure Scham. Da guckte anscheinend etwas aus mir heraus, was so intim, aber für jeden zu sehen war. Gefühlt zeigte die intimste Stelle meines Körpers, dass mit mir etwas nicht stimmte.

"So etwas habe ich eben noch nie gesehen."
Ein paar Jahre später fragte ich meinen damaligen Freund, warum er mich nicht oral befriedigen würde. Er sagte den Satz, den ich da schon kannte: "So etwas habe ich eben noch nie gesehen." Er ahnte nicht, dass er gerade meinen größten Komplex bestätigt hatte. Ich fühlte mich einfach nicht schön genug. Nachdem die Beziehung in die Brüche gegangen war, entschied ich mich mit 24 Jahren für eine Schamlippenverkleinerung.
Als die Chirurgin mir von ihrer Lasermethode erzählte, war ich angefixt. Klang doch alles ganz easy. Dass die Wunden erst nach vier Monaten körperlicher Qual und einem hohen Infektionsrisiko verheilt sein würden, ignorierte ich geflissentlich. Was sind schon vier Monate im Vergleich zu einem neuen Lebensgefühl?
Mit 1200 Euro, die ein fettes Loch in mein Konto brannten, und ein bisschen Bammel ging ich also zum Termin.
Es qualmt und stinkt wie beim Hufschmied
Und hier liege ich nun und höre, wie der Laser meine Weiblichkeit wegbrutzelt. Es qualmt und stinkt wie beim Hufschmied. "Dann machen wir jetzt mal die Flügelchen weg", sagt die Ärztin. Mir wird schlecht. Tatsächlich, Schamlippen sehen von unten ein bisschen aus wie Engelsflügel. "Scheiße, jetzt macht die mir die Flügel weg", denke ich. Das kann doch nicht richtig sein.
Später werde ich wissen, dass es tatsächlich nicht richtig ist. Dass ich mich aus den völlig falschen Gründen für eine OP entschieden habe, die nicht nur unnötig ist, sondern die ich sogar bereuen werde. Auf dem OP-Tisch habe ich schon eine Vorahnung, aber bald werde ich spüren, dass ich mich an meinem Frau-sein beschnitten fühle. Dass ich einfach nur Anerkennung wollte. Von Menschen, die ich zu einem bestimmten Zeitpunkt zwar mal sehr geliebt hatte, die aber trotzdem nicht ich waren. Und deswegen keine Entscheidungen über meinen Körper hätten treffen sollen.
Und bald werde ich merken, dass es mich weiterbringt, mit anderen Frauen zu sprechen. Manche werden mir sogar erzählen, dass sie vom OP-Tisch wieder aufgestanden sind.
Stutzig werden Männer nur, wenn die Frauen nicht aussehen wie im Porno
Ich werde auch mit Männern darüber reden, ob sie sich den Intimbereich der Frauen, mit denen sie Sex haben, eigentlich mal angucken. Tun die meisten nicht, übrigens. Trotzdem werden manche stutzig, wenn die Frauen eben nicht aussehen wie im Porno. Wie bescheuert das ist, wird mir erst nach der Operation klar werden. Nach dutzenden Kamillenbädern und Wochen, in denen ich nur mit Baggy-Leggins und breiten Beinen rumlaufen konnte. Drei Wochen, in denen ich nur werde liegen können. Meine Vulva wird angepasster aussehen. Aber was war der Preis dafür?
Wir sind auf der ewigen Suche nach Perfektion. Frauen noch mehr als Männer. Ich habe noch nie von einem Mann gehört, der seinen Penis chirurgisch begradigen lässt, weil der schief ist.
Wir sind Frauen, keine Mädchen
Auf Instagram gibt es ein Profil, das mir gezeigt hat, wie unterschiedlich der weibliche Intimbereich aussehen kann. Auf "I Show Flag" zeigen Gipsabdrücke verschiedener Vulven wie vielfältig sie sein können. Hätte ich so etwas mal vor fünf Jahren gesehen! So habe ich das erste Mal wirklich andere Frauen unten herum gesehen und gemerkt, dass ich eigentlich ganz normal war. Dass ich nun mal eine Frau bin und kein Mädchen. Und dazu gehören vielleicht mehr Fettpolster, ein paar Dellen, Dehnungsstreifen – und manchmal eben auch lange Lippen.
Ich wünsche mir, dass wir Frauen uns und unsere Körper endlich so akzeptieren, wie sie sind – ob mit Engelsflügeln oder ohne.