Ich will hier gar nicht viele Worte verlieren und auch nicht zu lange darüber nachdenken, wie ich die folgenden Sätze formuliere. Ich habe nämlich irgendwann mal irgendwo gelesen oder gehört, dass Jay-Z, dieser begnadete Straßenlyriker, der auf 16 Zeilen einen ganzen Roman erzählen kann, der keinen Reim ohne doppelten Boden droppt, dass eben dieser Jay-Z seine Texte nie aufschreibt. Sprich: Jede seiner Aufnahmen ist ein Freestyle, über den er sich vorher bloß gründlich Gedanken gemacht hat.
Diese Information macht sein Gesamtwerk nur umso erstaunlicher (als ob es das noch nötig hätte), aber es würde ein Buch füllen, anlässlich seines heutigen 50. Geburtstages das musikalische Vermächtnis des Jay-Z mit der gebotenen Tiefe zu beleuchten. Auch seine Geschichte – die klassische amerikanische Aufsteigerstory vom Straßendealer in den Marcy Projects von Brooklyn zum Milliardär des Rap – wurde bereits allzu oft wiedergekäut und wird zur Feier des Tages heute sogar in Agenturmeldungen noch einmal aufgewärmt.
Der frühe Jay-Z: Jedes Jahr ein neues Album
Deshalb will ich an dieser Stelle nur kurz davon berichten, wie Jay-Z mit seiner Kunst – die schließlich immer noch der Grundstein aller späteren Errungenschaften des umtriebigen Hustlers ist – auch das Leben eines viel zu dünnen weißen Jungen, der im Süden von Düsseldorf aufwuchs, verändert hat.
Der viel zu dünne weiße Junge, der auch Autor dieser Zeilen ist, bekam zum ersten Mal eine Ahnung davon, was möglich war, als er Jay-Zs Debütalbum "Reasonable Doubt" im kalten Winter 1996/97 entdeckte. Er bekam eine Ahnung, welche Akrobatik mit Worten vollbracht werden kann, und wieviel Inhalt man in wenige Zeilen packen kann, kurz: wie gut man eine Geschichte erzählen kann.
Denn das ist Jay-Z bis heute: der große Geschichtenerzähler des Rap. Und als solcher hat er seinerzeit auch den dünnen weißen Jungen aus Düsseldorf angefixt, der fortan auch so schreiben können wollte und es einfach mal versuchte (und bis heute nicht damit aufgehört hat, es zu versuchen).
Jay-Z hielt derweil, mit Abstrichen, das Niveau auf seinen Folgealben, die er im Jahresrhythmus raushaute, als wären es bloß schnell gestrickte Mixtapes, dabei waren auch sie stringente, von Anfang bis Ende durchgedachte Stories, gespickt mit zeitlosen Hits wie "Hard Knock Life" oder "Big Pimpin'".
Der dünne weiße Junge war also bereits ein alteingesessener Fanboy, als der 11. September 2001 kam. Am Tag, der die westliche Welt für immer veränderte, veröffentlichte Jay-Z sein Opus Magnum, ein Meisterwerk, das uns alle überdauern wird: "The Blueprint" ist als perfektes Mainstream-Rap-Album bis heute unerreicht. 18 Jahre später hat der dünne weiße Junge wahrscheinlich keine Platte häufiger gehört. Und nicht einmal das verfluchte Erscheinungsdatum konnte dieser Musik etwas anhaben.
Jay-Z hat die Welt verändert
Denn auf diesen 63 Minuten und 49 Sekunden stimmt alles: Jay-Zs "Blaupause" vereint die frühen Soul-Beats des jungen Produzenten Kanye West mit Aggro-Ansagen à la "The Takeover" und herzzerreißenden Gangster-Balladen wie "Song Cry". Ausnahmslos jeder Song wäre die Single-Auskopplung wert, was die blaue Scheibe außerdem zur perfekten Rap-Platte für Nicht-HipHop-Heads macht. Und weil Jay-Z auch ein großer Gentleman sein kann, lässt er seinen einzigen Feature-Gast Eminem in "Renegade" sogar mit der besten Strophe des ganzen Albums leuchten.
Obwohl Biggie oder 2Pac schon vor ihm da waren, obwohl Jay-Z in den Jahren zuvor bereits vereinzelte, oben genannte Single-Hits gelungen waren, steht "The Blueprint" doch wie kein zweites Werk (außer vielleicht Eminems "Marshall Mathers LP") für die endgültige Ankunft der Rapmusik im Mainstream. Und deswegen ist es keine dieser Übertreibungen, die in unseren überhitzten Zeiten so inflationär missbraucht werden: Der Mann, der mit bürgerlichem Namen Shawn Carter heißt, hat die Welt verändert. Nicht nur jene eines dünnen kleinen Jungen aus Düsseldorf. Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag, Jay-Z!