VG-Wort Pixel

Ja, ich will ... aber anders Ich heirate meinen ersten Freund: Warum ich keine Angst habe, etwas zu verpassen

Hochzeit: Ein Pärchen umarmt sich, an der Hand der Frau sieht man einen Ring
Unsere Autorin heiratet ihren ersten Freund - und hat keine Angst davor, dadurch etwas zu verpassen
© Joshua Rodriguez / Unsplash
Unsere Autorin und ihr Freund sind zusammen, seit sie 19 Jahre alt war. Er ist ihr allererster fester Freund. Nächstes Jahr werden die beiden heiraten. Warum sie keine Angst hat, dadurch etwas zu verpassen.

"WAAAAAS?! Du hattest noch nie Sex mit jemand anderem???" Das ist meist die Reaktion, wenn ich erzähle, dass ich immer noch mit meinem ersten und einzigen festen Freund zusammen bin. (Ja, davor gab es auch keinen anderen Typen, mit dem etwas Ernsteres lief.) Er ist der Erste und wird wohl auch der Letzte sein, denn wir werden nächstes Jahr heiraten. 

Es ist nicht so, dass ich vorgehabt hätte, mit nur einem Menschen in meinen Leben zusammen zu sein oder Sex zu haben. Es hat halt einfach von Anfang an so gut gepasst, dass ich nie wieder jemand anderes wollte. Wir sind jetzt seit über sechs Jahren zusammen - und mein Arsch passt immer noch perfekt auf seinen Eimer.

Hochzeit mit dem "heißen Pfleger von Station 2" 

Als wir uns kennenlernten, war ich 19 und machte gerade mein Abi. Ich wusste schon, dass ich zum Studieren in die Niederlande ziehen würde und war mir sicher: Hier zu Hause suche ich mir ganz sicher keinen Typen mehr! Jahrelang hatte ich vergeblich versucht, einen Jungen davon zu überzeugen, ich wäre die Richtige für ihn. Irgendwann war ich so frustriert, dass ich kurz davor war, es ein für allemal aufzugeben. Die Angst, als Jungfrau zu sterben, fuhr jedes Mal mit, wenn ich mit meinem kleinen, gelben Fiat Cinquecento über die Landstraße bretterte. 

Und dann war da plötzlich dieser "heiße Pfleger von Station 2", der neue FSJler in dem Altenheim, in dem ich neben der Schule arbeitete. Monatelang schmachtete ich ihn aus der Ferne an; tat so, als müsste ich dringend etwas im Dienstplan nachgucken, in der Hoffnung, ihn im Dienstzimmer zu treffen. Unser erstes Gespräch führten wir dann auf der Halloween-Party in unserer Dorfdisko. Sechs Stunden haben wir ununterbrochen gequatscht - bis die Lichter angingen und uns die Security früh morgens rausgeschmissen hat. 

Mittlerweile sind sechs Jahre vergangen und wir haben uns immer noch was zu erzählen. 

Irgendwann kommt immer diese eine Frage

Viele Freunde finden unsere Story erstmal süß. Dann kommt aber meist unweigerlich die Frage, ob erster Freund auch erster Geschlechtspartner bedeutet - und ob ich nicht Angst hätte, etwas zu verpassen. Ganz einfach: Nö, habe ich nicht. Wir lieben uns. Klar frage ich mich manchmal, wie wohl der Sex mit jemand anderem wäre. Aber wieso sollte ich Schluss machen und mir eine Rumvögel-Phase gönnen? Ich hab doch alles, was ich will. 

Versteht mich nicht falsch, ich kann Menschen verstehen, die überzeugte Singles sind oder nie heiraten wollen oder gerne Sex mit möglichst vielen verschiedenen anderen haben wollen. Jeder sollte tun und lassen dürfen, was ihm gefällt. Und mir gefällt mein Freund (eigentlich ja Verlobter, aber ich finde das Wort so komisch) einfach sehr. 

Der "Antrag" kam übrigens ohne Rosenblätter, Sonnenuntergänge und Kniefall (könnt ihr gerne mögen, für mich ist das aber nichts) aus. Stattdessen war es eine spontane Entscheidung. Wir lagen im Urlaub leicht betrunken im Bett, da hab ich die Hochzeit einfach vorgeschlagen. Es fühlte sich für uns beide einfach richtig an. Fertig. (Und wir haben ziemlich Bock auf eine Riesenparty.)

Das Leben ist keine Tupperparty

Was ich tatsächlich gerne mal ausprobiert hätte, wenn es das damals, als ich noch Single war, schon gegeben hätte, ist Tinder. Ich stelle mir das einfach super entspannt vor: Alle Anwesenden sind potentiell interessiert. Das konnte ich von den Typen, mit denen ich damals wochenlang bei ICQ geschrieben habe, nicht behaupten. Auch dieses Swipen stelle ich mir lustig vor. Ich habe immer wieder versucht, Freunde zu überreden, für sie swipen zu dürfen. So viel Vertrauen hatten die meisten dann aber doch nicht in meine Urteilsfähigkeit. 

Tinder wird bei vielen als Untergang der festen Bindung beschworen. Millennials seien nicht mehr in der Lage, sich für etwas endgültig zu entscheiden - die Angst, etwas Besseres zu verpassen, würde sie hindern. "Generation Beziehungsunfähig", heißt es. Ich glaube, das Einzige, was fehlt, ist einfach ein bisschen Mut. Man muss sich das Ganze vielleicht vorstellen wie den übervollen Schrank mit der Tupperware bei den Eltern zu Hause. (Den hat doch wirklich jeder, oder?!) Du hast eine Dose in der Hand und suchst den passenden Deckel. Mal hast du zehn vergeblich probiert und nimmst aus Frust einfach Alufolie. Mal hast du Glück und der Erste passt. Aber ist das auch der perfekte Deckel? War da nicht mal einer in Rot, der auch ein bisschen weniger angeranzt aussah? Klar, du kannst dich weiter durch das Plastik-Chaos wühlen, bis die Küche aussieht wie auf einer Tupperparty - oder du bist einfach glücklich, dass es passt. 

Ich bin einfach glücklich, dass es passt. Und ich glaube an die gute alte lebenslange Tupper-Garantie. Mein Deckel sitzt so gut, du kannst die Dose drehen und wenden - da läuft nichts aus. Auch nicht in 30 Jahren.

Jeden Freitag gibt es eine neue Folge der NEON-Hochzeitskolumne "Ja, ich will ... aber anders". Alle bisherigen Kolumnen findet ihr hier:

Teil 2: "Selbst ist die Braut: Darum habe ich gerne auf einen klassischen Heiratsantrag verzichtet"

Ja, ich will ... aber anders: Ich heirate meinen ersten Freund: Warum ich keine Angst habe, etwas zu verpassen

Mehr zum Thema