Es ist seltsam berührend. Zwei Menschen bekennen sich zueinander. Öffentlich. In einem Land, in dem ein ernstgemeintes "Ich liebe dich" höchstens unter der Bettdecke geflüstert wird. Eine Hochzeit macht die Liebe laut, langfristig, offiziell – und überraschend ungleich. Doch auch wenn er sich hartnäckig hält, der Staub alter Traditionen lässt sich abschütteln.
Schritt 1: Fragen kann doch jeder
Am Anfang ist das Wort. Genauer gesagt: die "Willst-du-Frage". Die über das Immer entscheidet, zumindest das absehbare Immer. Es ist der Moment des männlichen Kniefalls und der weiblichen Freudentränen. Der Mann bestimmt, ob, wann und wie die Frage gestellt wird. Die Frau wartet.
Feministisch heiraten, heißt: Niemand muss auf eine Frage warten, jeder kann das Wort ergreifen. Oder überlegen, ob es die Frage wirklich braucht. Feministisch zu lieben, bedeutet eben auch, nicht heiraten zu müssen. Die Vorstellung fallen zu lassen, dass es so etwas gibt wie den "logischen nächsten Schritt". Schritte in einer Beziehung sollten keiner Logik folgen. Sondern dem Herzen. Und das braucht nicht unbedingt Hochzeitsglocken, um schneller zu schlagen.
Schritt 2: Bunt ist das neue Weiß
Wochenlang vor dem großen Tag wird nach der passenden Garderobe gesucht. Ob der Anzug des Mannes grau, blau oder schwarz ist, weiß vorab niemand. Wenig Zweifel besteht dagegen an der Farbe ihres Outfits.
Brautmodegeschäfte quellen über mit Kleidern in allen Formen und einer Farbe: weiß. Die Farbe der Reinheit, der Unberührtheit, der Jungfräulichkeit. Eine Farbe, die subtil etwas in den Vordergrund stellt, was niemanden zu interessieren hat: die Sexualität der Braut. Die unschuldige Farbe, die für Blumenmädchen vielleicht noch angemessen erscheint – aber für Frauen, die gerade eine wichtige Lebensentscheidung treffen? Die diese Entscheidung ja gerade nicht aufgrund ihrer Unerfahrenheit treffen, sondern vielmehr aufgrund ihrer Reife. Warum präsentieren wir uns in einem solchen Moment als weißes, unbeschriebenes Blatt? Warum zeigen wir uns nicht mit all den Farben des Lebens, mit all den eigenen Erfahrungen, und bringen etwas Wichtiges zum Ausdruck: ich bin weder unerfahren noch unbeschrieben. Wer mich heiratet, entscheidet sich für eine bunte Persönlichkeit, kein unschuldiges Prinzesschen.
Schritt 3: Nachname? Danke, habe ich schon.
Vor der ehelichen Unterschrift, steht die große Frage über den Nachnamen. Bindestrich-Doppelnamen? Klingt seltsam. Also doch: viel zu häufig siegt die Tradition und der Nachname des Mannes. Die Frau wird namentlich "Teil des Mannes". Und verliert nicht nur ihre Unterschrift, sondern auch ein Stück ihrer Identität. Im Zweifel gilt: Ihr habt schon einen Nachnamen, behaltet ihn. Unterschwellig besiegelt eine Hochzeit immer noch die "Zugehörigkeit". Die Frau gehört nun zu ihrem Ehemann.
Ein anderes schräges Bild zielt in eine ähnliche Richtung: Der Brautvater geleitet die Frau zum Zukünftigen. Die Braut wird sinnbildlich von der Obhut des einen Mannes in die Obhut des nächsten Mannes übergeben. Bräute dieser Welt, ihr habt zwei Beine! Ihr könnt seit eurem zweiten Lebensjahr allein laufen – tut es, es ist euer Weg. Erinnert euch, dass ihr bereits vor eurer Hochzeit vollständig seid: mit eigenem Namen, eigener Identität und einem Menschen, der über euren Weg bestimmt: ihr selbst.
Schritt 4: Sträuße sind nicht zum Fliegen da
Es ist der Moment der Hochzeit, an dem viele peinlich berührt sind. Nicht die Kindheitsanekdoten von Tante Erna, nicht gutgemeinte Hochzeitspielchen, nicht das selbstgedichtete Lied vom Fußballverein. Es ist der Moment, an dem alle unverheirateten Frauen auf die Tanzfläche gebeten werden zum Brautstrauß-Fangen. Zur Flucht an die Bar oder auf die Toilette ist es meistens zu spät. Es ist dieses Sinnbild, das so absurd erscheint: Frauen sollen sich darum reißen, die nächste "Glückliche" zu sein. Die das vermeintliche Lebensziel erreicht: geheiratet zu werden. Das Verb steht dabei im Passiv.
Schritt 5: Eure Hochzeit, eure Regeln
Wenn man diese Traditionen nicht mehr pflegt, ist es dann noch eine "richtige" Hochzeit? Fehlt dann nicht etwas? Aber warum sollte eine Hochzeit erst eine richtige sein, wenn sie Ungleichheit besiegelt? Eine Hochzeit ist dann eine Hochzeit, wenn sie die Liebe zweier Menschen zelebriert. Solange die Substanz stimmt, sind alle Traditionen hinfällig. Löst euch von Vorstellungen, wie eine Hochzeit sein soll. Und stellt euch vor, was ihr möglich machen wollt. Trefft Entscheidungen, die ihr für euch wollt. Trefft sie gemeinsam. Trefft sie, wann ihr wollt. Und vergesst nicht: Heiraten kann wunderschön sein, aber es lässt sich auch wunderschön lieben ohne zu heiraten.
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