Dort hinten, hinter dem Grün, dem Rot, all den tanzenden Farben und den Blitzlichtern, dort hinten, da liegen sie, die zwei kleinen Punkte. Auf einem großen weißen Stück Stoff, dem einzigen Ruhepunkt zwischen hüpfenden Farben. Unwirklich weit weg in einer eigenen, farblos unbeweglichen Welt. Um sie erkennen zu können, muss auch ich zur Ruhe kommen, still stehen statt hüpfen, mich auf das Weiß fokussieren. Die Punkte werden zu Menschen, zu abgekämpften Spielern mit dreckigen Stutzen. Fernab der jubelnden Massen liegen Bastian Schweinsteiger und Arjen Robben mit dem Rücken auf dem weißen Tuch, die Hände erschöpft vom Körper gestreckt. Ich folge ihrem Blick in eine tiefschwarze Nacht hinter gleißendem Flutlicht. Erst ist alles schwarz, dann sehe ich sie: einzelne Sterne zwischen wenigen dunklen Wolken.
Es ist nicht möglich zu erkennen, ob Schweinsteiger und Robben miteinander gesprochen haben. Vorstellen kann ich es mir nicht. Es werden allerhöchstens ein paar Worte gewesen sein, im lauten Jubel für den Nebenmann kaum zu hören. Der Blick aus dem Stadion in die Nacht reißt einen aus diesem Trubel heraus, man ist plötzlich ganz bei sich. Für mich fühlt es sich an, als würde ich zum ersten Mal seit Beginn des Spiels wieder tief durchatmen. Erst jetzt bemerke ich, wie angenehm kühl die Nachtluft Londons ist. Ein kurzer Moment Ruhe. Als ich wieder zu den beiden blicke, hat eine Kamera sie schon entdeckt. Sie bemerken, dass sie gefilmt werden, richten sich auf und schlendern zurück zur Mannschaft. Herzlich willkommen zurück in dieser Welt.
So kurz er war, mit mir hat dieser Moment etwas gemacht. Das kurze Innehalten, der Blick aus diesem aufgeheizten Farbenkessel hinaus in kühle Nacht. Der erste Moment, in dem Aufregung und Adrenalin überlagert wurden von einer tiefen Zufriedenheit. Ein emotionaler Schlusspfiff. Es ist der einzige von tausend Eindrücken dieser Nacht im Wembley-Stadion, den ich voll erfassen konnte, der nicht zu groß war, um ihn aufzunehmen. Wahrscheinlich weil ihm genau das fehlte, was die Stunden davor geprägt hatte: Aufregung, Anspannung, Dramatik, Lautstärke. Zum ersten Mal schwang das Emotionspendel für einen kurzen Augenblick wieder über den Nullpunkt. Als es wenige Herzschläge später wieder ausschlug, fühlte sich das anders an. Zwischen den Extremen gab es wieder eine Mitte. Das Feiern, das Singen, die Lautstärke und Bildgewalt der Eindrücke überforderte mich nicht mehr, all das ließ sich zum ersten Mal einfangen.
Seit dem Gang ins Stadion hatte sich alles verzerrt, mich in einen Strudel gerissen. Wimpernschläge lagen zwischen Jubel, Angst, Euphorie, Staunen. Stunden dauerte es plötzlich, nur einen Eckball auszuführen. Müdigkeit legte sich über die Sinne, Gesänge klangen dumpf, der Ball bewegte sich quälend langsam über den Rasen. Wie Sandkörner in einem Wüstensturm prasselten die Eindrücke unaufhörlich auf mich ein. Unmöglich, das auch nur annähernd schriftlich festzuhalten.
Stunden später rollten wir im Bus durch die Nacht. Die Ekstase hatte tiefer Müdigkeit Platz gemacht. Kurz bevor auch mir die Augen zufielen, dachte ich noch einmal nach über das Bild von Schweinsteiger und Robben auf dem ausgerollten Bayern-Emblem im Mittelkreis. Eine andere Erinnerung legte sich darüber: Nach dem Finale vor einem Jahr lagen die Spieler ebenfalls im Anstoßkreis, fassungslos ob der Niederlage gegen Chelsea. Schweinsteiger in sich zusammengesunken, verkrümmt mit dem Gesicht tief im Gras. Robben hatte die Arme über dem Gesicht verschrenkt, andere Spieler das Trikot bis über den Kopf gezogen. Sich verkriechen. Woanders sein. Abtauchen. Die Augen verschließen. Das alles steckte in diesem Bild. Diesmal hatten sie die Augen geöffnet, den dunklen Himmel über sich. Und vielleicht fühlte es sich für sie auch an, als wären sie seit langem wieder bei sich. Die eigentliche Geschichte dieses gewonnenen Finalspiels in Wembley liegt für mich in diesen beiden Bildern. Es wurde mit etwas abgeschlossen. Zum ersten Mal versetzte mir die Erinnerung an jenen Augenblick aus dem Jahr 2012 keinen Stich.