Die Situation kennt fast jeder. Es ist schon ziemlich spät, ziemlich dunkel, ziemlich einsam und ganz schön gruselig. Irgendwo im Busch knackt was, auf der anderen Straßenseite kommt dir eine dunkel gekleidete Person entgegen. Das Herz beginnt zu rasen, die Hand wandert in die Jackentasche. Hat nicht mal jemand gesagt, dass man sich in gefährlichen Situationen die Schlüssel zwischen die Finger stecken soll? So als improvisierten Schlagring? Die Person kommt näher. Entwarnung. Da geht nur einer mit dem Hund spazieren.
Am schönsten wäre es jetzt, wenn du mit jemandem telefonieren könntest. Zur Ablenkung. Weil du dann nicht so alleine wärst. Und weil dann jemand wüsste, wo du bist. Aber deine Freunde sind noch im Club, Mama schläft schon – was nun? Das ist der Moment, in dem das Heimwegtelefon ins Spiel kommt.
Das Heimwegtelefon
Zu diesen Zeiten telefonieren die Helfer:
Sonntag bis Donnerstag:
20 bis 24 Uhr
Freitag und Samstag:
22 bis 4 Uhr
Hotline (deutschlandweit):
030 - 120 74 182
Ins Leben gerufen haben das Projekt Frances Berger und Anabell Schuchhardt 2013 in Berlin. Auf die Idee kamen sie, weil sie das Problem selbst kennen: "Ich rufe schon immer meine Mutter oder meinen Mann an, wenn ich auf dem Heimweg bin", sagte Berger NEON. "Ich fühle mich besser, wenn ich nicht jedes Rascheln im Gebüsch wahrnehme." In Schweden gebe es das Konzept schon länger, in Deutschland hätten sie und ihre Freundin bei der Recherche nichts dergleichen gefunden. "Wir haben uns überlegt, wir könnten uns darüber ärgern oder selbst aktiv werden, denn eigentlich sollte doch jeder die Möglichkeit haben, ein Heimwegtelefon nutzen können."
So geht Heimwegtelefon
Das Konzept ist einfach erklärt: "Wir beseitigen das mulmige Gefühl auf dem Heimweg. Wir fragen zu Beginn des Gesprächs den Standort und das Ziel ab und begleiten die Anrufer bei einem netten Gespräch zum Ziel", erklärt Berger. "Zwischendurch fragen wir immer mal wieder nach der aktuellen Position. Durch das Gespräch vergeht der Weg wesentlich schneller und man fühlt sich sicherer. Im Notfall können können wir Hilfe holen."
Hilfe holen geht tatsächlich, denn durch die immer wieder aktualisierten Koordinaten der Anrufer kann die Polizei über einen genauen Standort informiert werden. Mussten die Helfer wirklich schon mal einschreiten? Berger: "Ja, aber nicht weil jemand angegriffen wurde. Einmal wurde ein Mann im Rollstuhl von mehreren Bussen nicht mitgenommen. Ihm war sehr kalt und er wusste nicht, wie er nach Hause kommen sollte, da haben wir die Polizei alarmiert."
Inzwischen kommen etwa 80 Anrufe in der Woche
Ganz zu Anfang war die Hotline des Heimwegtelefons nur in Berlin erreichbar – und lediglich freitags und samstags von 22 Uhr bis 2 Uhr. Inzwischen telefonieren die freiwilligen Helfer deutschlandweit – und das die ganze Woche! Im Durchschnitt bearbeiten sie etwa 80 Anrufe in der Woche.
Gibt es auch schon "Stamm-Anrufer"? "Oh ja mittlerweile sehr viele. Besonders unter der Woche", erzählt Berger. "Ein Mädchen fährt immer mit dem Rad nach dem Fußball nach Hause und ruft uns an. Es gibt zwei Damen, die sich nach der Arbeit im Casino nach Hause begleiten lassen. Der Mann im Rollstuhl ruft auch regelmäßig an." Zu den regelmäßigen Anrufern gehört auch die Gründerin selbst: "Dann hat man mal Zeit, mit den Helfern zu sprechen. Aber wenn viel los ist, sind die Gespräche mit mir eher kurz, dann rufe ich meinen Mann an."
