Protokoll: Anja Reumschüssel | Foto: Heinrich Holtgreve
»Aus Nepal, Indien oder Tansania weiß ich, wie schwierig es ist, wenn man sich nicht verständigen kann und dort war ich im Urlaub, nicht auf der Flucht. Das war auch ein Grund, weshalb ich vor drei Monaten die Vormundschaft für drei irakische Teenager übernommen habe: Rashid, Shaker und Sami sind meine Mündel. Ihre Eltern leben noch in einem Flüchtlingscamp im Irak. Als Vormund bin ich die gesetzliche Vertreterin, habe also Rechte und Pflichten wie ein Elternteil ich werde Zeugnisse unterschreiben, überprüfen, wann welche Impfungen anstehen, und vor allem: Anträge stellen. Ich bin mir der Verantwortung bewusst und habe beim Kinderschutzbund mehrere Schulungen über Asylrecht, die Unterbringungsparagrafen und den Umgang mit Traumatisierten gemacht. Die Bürokratie habe ich unterschätzt, ich kämpfe eine Stunde am Tag mit Papierkram. Das liegt aber da ran, dass ich drei Mündel betreue und nicht, wie normalerweise, nur einen. Ich habe ewig mit der Schulbehörde telefoniert, damit die drei nach den Sommerferien eingeschult werden. Wenn ich die Jungs dann einmal die Woche im Flüchtlingsheim treffe, rede ich mit ihnen nicht über Asylgesetze. Wir spielen Wikingerschach oder »Mensch ärgere dich nicht« oder trinken Chai-Tee. Vor ein paar Wochen waren wir auch an der Ostsee. Sami, der Kleinste, hatte noch nie das Meer gesehen und ist immer wieder begeistert in die Wellen gehüpft. Die Jungs sprechen nur Kurdisch und Arabisch, wir kommunizieren also mit Händen und Füßen. Rashid schrieb mir letztens: »Ich werde nun ein Streichholz.« Ich überlege immer noch, was das heißt. Es geht aber auch nicht darum, dass wir philosophische Debatten führen, sondern dass ich für sie da bin und wir gemeinsam Dinge unternehmen. Das erste Mal traf ich die drei am Gericht. Ihr großer Bruder Hisham wollte eigentlich die Vormundschaft übernehmen, spricht dafür aber nicht gut genug Deutsch. Wir saßen aufgeregt zusammen, ich habe noch gesagt: »Schade, dass unser erstes Treffen so förmlich ist.« Mittlerweile stimmen Hisham und ich uns viel ab. Für die die Jungs bin ich eine Autoritätsperson, sie sind oft schüchtern. Wenn ich sie frage: ›Habt ihr Hunger?‹, weil sie das Mittagessen im Heim verpasst haben, verneinen sie essen aber doch den Snack, den ich ihnen gebe. Ich überlege mir genau, was wir gemeinsam unternehmen. Finden sie Schwarzlichtminigolf lustig oder doch eher gruselig, weil sie dabei nichts mehr sehen? Man könnte sagen: Vormundschaft ist Aufgabe des Staates. Aber selbst wenn mehr Amtsvormünder eingestellt würden: Behörden können nicht zu jedem Kind eine Beziehung aufbauen. Das muss auf menschlicher Ebene passieren. Viele finden mein Engagement toll, scheuen aber die Verantwortung. Man hört viel über Spenden, aber noch zu selten, dass Deutsche echten Kontakt zu Flüchtlingen aufbauen. Das verstehe ich nicht, jeder hat doch ein bisschen Zeit.«
Weitere Informationen beim Kinderschutzbund (dksb.de)