Der Absturz der Germanwings-Maschine in Südfrankreich zeigt bisher kaum Auswirkungen auf das Verhalten von Flugreisenden. Ein ARD-Deutschlandtrend ergab, dass nur neun Prozent der Befragten weniger fliegen wollen. 89 Prozent hingegen würden das Flugzeug nutzen wie bisher auch. Gerade ein Prozent will komplett auf Flugreisen verzichten.
Die Ermittlungen nach der Katastrophe drehen sich um einzelne technische Fragen und den mutmaßlichen Suizid des Copiloten Andreas Lubitz. Dadurch richten sich viele Augen auf die Flugzeugführer und deren Tauglichkeit, Passagiermaschinen zu steuern.
Medizinische und psychologische Tests sollen auf den Prüfstand gebracht werden. Doch durch das Unglück sehen Piloten die Möglichkeit, auch auf ihre Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen - die offenbar ebenfalls ein Sicherheitsrisiko bedeuten.
"Wir haben ein eklatantes Sicherheitsproblem mit unseren Copiloten und dem eisernen Sparzwang, der uns abverlangt wird. Und wir sprechen nicht darüber", sagte ein Kapitän einer Charterlinie anonym in einem Interview der Welt.
Seine Aussagen werfen die Frage auf, wie viele Piloten eigentlich nicht für ihren Beruf geeignet sind. Und welches Gefahrenpotential die Arbeitsbedingungen bergen. "Meine Fluggesellschaft hat nicht annähernd so harte Auswahlkriterien wie Lufthansa. Viele Copiloten muss ich heruntersprechen, sonst würden sie es nicht schaffen, selbst bei gutem Wetter", wird der Kapitän zitiert.
"Manche von ihnen bekommen so wenig Geld, dass sie auf dem Land wohnen und stundenlange Anfahrtswege in Kauf nehmen, um morgens im Cockpit zu sitzen. Ich selbst bin Dutzende Male unabsichtlich eingeschlafen, und ich kenne keinen Kollegen, dem das nicht auch passiert ist."
Angst, die Lizenz zu verlieren
Vor allem bei Billig-Airlines sollen die Bedingungen nicht so gut sein wie bei der Lufthansa und ihren Töchtern. Doch großen Druck verursachen auch medizinische Untersuchungen und Simulator-Checks bei den Piloten. Auch Andreas Lubitz soll angeblich wegen einer Sehschwäche Angst gehabt haben, seine Pilotenlizenz zu verlieren.
"Ich kenne Piloten, die bewusst nicht zum Medizinischen Dienst der Lufthansa gehen, sondern lieber einen externen Arzt aufsuchen", sagte ein Langstreckenpilot der "Welt". Damit wollten sie verhindern, dass ihr Arbeitgeber zu viel über ihre möglichen Krankheiten erfahren könnte.
Piloten zahlen, um zu fliegen
Hinzu kommt, dass der Stellenmarkt für Piloten hart umkämpft ist. Es werden kaum neue Piloten benötigt, die Fluggesellschaften expandieren nicht mehr. Um Fuß zu fassen und den Traumjob als Pilot ergattern zu können, gibt es sogar Copiloten, die Geld bezahlen, damit sie fliegen dürfen, erzählt der Charterlinien-Kapitän.
Durch das Prinzip Pay-to-fly könnten sie Flugstunden und wichtige Erfahrungen sammeln. 300 bis 400 Flugstunden sollen bis zu 60.000 Euro kosten. So könnten die Copiloten ihre Chancen bei Bewerbungen steigern. "Neulich hatte ich jemanden neben mir im Cockpit, der mir klipp und klar sagte, er sei hier ja Kunde", sagt der Kapitän. "Die besten landen auf diese Weise nicht zwingend im Cockpit."
Er sorgt sich um seinen Berufszweig und die Sicherheit in der Branche. "Eigentlich dürfte man mit uns nicht mehr fliegen. Aber weil niemand etwas sagt, geht der Wahnsinn einfach weiter", sagt der Kapitän.