Gerade als Morten Nilsen den Motor ausgeschaltet hat, frischt es kräftig auf: Gischtfetzen wehen an Bord der Hellvåg, wo die Mütter die umhertollenden Kinder zu sich genommen haben. Der zwölf Meter lange Kutter schwankt heftig. Doch die Väter der drei deutschen Familien stehen still an der Reling und warten auf ihr Kommando. In der Hand eine Nylonschnur, an der ein Eisenstück hängt. Und kurz darunter ein gewaltiger Angelhaken.
Niemand sagt etwas. Nur das Konzert der Wellen ist zu hören. Dann ruft Morten vom Führerhaus: "Go". Jetzt rauschen die 200 Gramm schweren Pilker in die Tiefe. Die Väter geben Leine, so wie Morten es ihnen erklärt hat. Und der Nachwuchs feuert sie an. "Papa fängt den größten", quietscht ein blonder Zwerg im Friesennerz.
"Being a fisherman for one day"
Die Papas an Bord haben oft noch nie Fisch gefangen: Für die meisten Touristen, die Morten von Anfang Juni bis Ende August aufs Meer fährt, ist die Fischerei etwas Neues. Und damit etwas, sagt Morten, das sie auf den Lofoten automatisch lernen wollen. Denn wer hier Urlaub macht, der isst im Restaurant Fisch, wohnt in alten Fischerhütten, den Rorbuer, besucht Fischereimuseen - und bucht dann "Being a fisherman for one day". So hat Morten, der im Winter mit dem "Skrei", dem Kabeljau, sein Geld verdient, seinen 75 Euro teuren Vier-Stunden-Trip genannt. Auch andere Häfen auf der südwestlichsten Lofoten-Insel Moskenesøy bieten die Fischtrips an, die selten erfolglos sind.
Zwei große Köhler, 70 Zentimeter lang und gemeinhin als Seelachs bekannt, sind gerade zappelnd auf den Planken gelandet. Zuerst ruckte es nicht in den Handleinen. Doch jetzt ist die Hellvåg über einem Schwarm. Ein Fisch nach dem anderen stürzt sich in 60 Meter Tiefe auf die Pilker, die durch heftiges Reißen auf und ab bewegt werden. Nach zwei Stunden und 30 Köhlern ist das Fest vorbei. Die Hellvåg kehrt, begleitet von einer Hundertschaft Möwen, nach Å zurück, dessen rostrote, 150 Jahre alte Rorbuer in der Mittagssonne glänzen.
Die Touristen gehen mit Tüten voller Filets von Bord, die Morten mit drei Handgriffen, als gäbe es nichts Leichteres, aus den Köhlern geschnitten hat. Eine Familie will am Abend die Gäste der kleinen Jugendherberge bekochen, die in einem der Museumshäuser untergebracht ist. Dort schläft man über der alten Bäckerei und bekommt den Kaffee von Frauen in historischen Trachten serviert.
Vom Meeresspiegel auf die Berge
Die meisten Besucher wohnen auf dem Campingplatz und in den Rorbuer, aus denen das ganze Dorf besteht und deshalb eine der Hauptattraktionen auf den Lofoten ist. Ein Historienpfad führt zu originalgetreu eingerichteten Fischerkaten, der Schmiede, einem trocken gelegten Kutter und zum Fischereimuseum, in dem Besucher lernen, wie Lebertran gemacht wird. Jeder darf probieren, die wenigsten tun es - und wissen, dass Stockfisch, ob in Portugal oder Italien serviert, oft von den Lofoten kommt. Auch für ihn gibt es ein Museum - und unzählige Holzständer, an denen der Kabeljau im Frühjahr in jedem Dorf aufgehängt wird.
Der Höhepunkt in Å ist eine Wanderung: auf den 400 Meter hohen Stokkvik-Pass, durch eine Herr-Der-Ringe-Landschaft, über leichte Klettersteige und immer entlang am verwunschenen See Ågvatnet. Dann steil hinauf, bis der Puls fast explodiert und sich ein Panorama aufspannt, das Atmen verbietet: Å als winziger Punkt zwischen Meer und See, unter schroffen Gipfeln, vor lila Wolkenherden und dem Horizont. Und irgendwo da ist der Platz, wo die Hellvåg am Morgen plötzlich über dem Köhlerschwarm stand und das Abendessen mit der Handleine im Handumdrehen gesichert war.