Keine Ahnung, wo ich bin. Kein Schimmer, wie spät es ist. Gerade aufgewacht. Die Lider kleben noch zusammen. Nur eins wird schnell klar: Es ist saukalt. Die Augen öffnen sich ganz langsam, sehen verschwommen blaue Backsteine. Überall. Im Kopf dämmert's allmählich: mein Eispalast. Die ersten Sonnenstrahlen leuchten das Haus aus gefrorenem Wasser an, das Eis im Iglu schimmert blau, ein unfassbar schönes Blau. Ein Iglu-Blau. Ein Blau, das wärmt.Neben mir wachen meine Mitbewohner auf. Alle noch in ihren Schlafsäcken eingemummelt. Hannah will nicht aufstehen, Klaudia auch nicht, keiner will aufstehen, jeder denkt: Es wird furchtbar, wenn du dich rausbewegen musst. Hier drinnen sinken die Temperaturen nie unter null Grad. Man kann nicht erfrieren; Iglus isolieren verdammt gut.Schnee, damit das keiner bei aller Romantik vergisst, ist kalt und nass und nirgends so kalt und nass wie in den Schuhen. Die liegen mit mir eingekuschelt unter der Decke und werden einfach nicht trocken. Stundenlanges Wandern im Ötztal im tiefsten Tiefschnee hinauf zum Plateau, die Schuhe sind total nass. Habe mit Freunden ein Wochenende mit Entdeckungstour, Iglubauen und Eisklettern gebucht. Ein super Abenteur. Echt. Bloß, dass ich nicht mal ein paar Ersatzsocken mitgenommen habe. Ich Ötzi-Amateur.
Der Tag zuvor: In Marlstein auf 1800 Meter Höhe treffen wir Alex und Walter. Unsere beiden Guides drücken jedem merkwürdige Geräte in die Hand, die Bärentatzen genannt werden, aber so aussehen wie eine Mischung aus Taucherflosse und Tennisschläger mit Schlaufen und Schnallen. Das hier sind ultraleichte High-End-Puschen. Aber zu Beginn ein wenig sperrig. Die ersten Meter treten wir uns selbst in die Hacken, verdächtigen aber unseren Hintermann. Mirco verliert das Gleichgewicht, Walter rät ihm, sich mit den Skistöcken abzustützen. Wir watscheln wie Enten über den Schnee.Am Anfang haben wir Hemmungen, diese unberührte Winterwelt zu betreten, einfach ins Weiß hineinzustapfen und sie mit jedem Schritt ein wenig zu entzaubern. Meter für Meter erschließen wir uns dennoch die Landschaft. Ein beschaulicher Sport. Trotzdem schwitzt man, stolpert man schnaufend den Anstieg hoch. Dorthin, wo nur Tiefschnee-Cracks hinkommen. Wir ziehen unsere eigene Spur, können danach behaupten, nicht auf eingetrampelten Touristenpfaden unterwegs gewesen zu sein. Wer kann das heute noch? Und wer errichtet sich schon sein eigenes Hotel? Auf den Feltringer Böden, auf 2100 Meter, spielen wir Architekt, Ingenieur, Maurer und Hilfsarbeiter. Ein Bautrupp für das Nachtquartier.
Ein Bett aus Schnee
Für ein paar Tage wohnen und ruhen wie am Nordpol - man muss nicht mehr zu den Eskimos reisen, um zu lernen, wie man ein Schneehaus baut. Das geht mittlerweile auch in den Alpen. Die meisten Organisatoren dort verbinden Iglu-Übernachtungen gerne mit Schneeschuhwanderungen, Schlittenfahrten und manchmal auch mit Eisklettern.Bei "Feelfree" im Ötztal zum Beispiel können sich Kurzurlauber aus einer ganzen Reihe von Angeboten das passende Programm zusammenstellen lassen - inklusive der Bergführer: www. feelfree.atIn der Schweiz bietet "Element - Iglu-Dorf" in Scuol sogar einen ganzen Ort voller Eishäuser an. Scuol ist sehr beliebt bei Führungskräften, die ihren Teamgeist beim Errichten von eiförmigen Schneezimmern stärken wollen: www.iglu-dorf.comIn Deutschland bietet "Impuls Company" aus Oberstdorf Iglu-Baukurse extra für Kinder an: www.familiendorf.de
Ein Iglu für Stadt-Eskimos. Aus verdichtetem Schnee schneiden Alex und Walter mit einer Säge Eisblöcke heraus. Diese Kuben werden eingepasst, aneinander gereiht und aufeinander gelegt, ähnlich einer Stützmauer. Schwerstarbeit für alle. Für Alex und Klaudia im Inneren und für die Schlepper der bis zu 25 Kilo schweren Quader. Die jeweils darüber liegende Schicht ragt ein Stück weiter nach innen, bis die Schneehauskuppel geformt ist. Aber ab einer gewissen Höhe verspürt sie die fatale Neigung zu kippen. Fluchen ist erlaubt.Nach gut drei schweißtreibenden Stunden und fünf Packungen Schokokeks sind wir fertig. Hannah, Julian und Lukas, die Kinder, schaufeln eine Eingangsröhre zu unserem Iglu. Wir robben hindurch und dann hinauf zum Schlafplatz. Den Boden belegen wir mit Isomatten. Schälen uns aus den nassen Klamotten. Ersticken die aufkommende Kälte im Schlafsack. Hier drinnen ist die Stille so vollkommen, dass man sich einbildet, den Schnee singen zu hören. So muss es gewesen sein, das Reich der Schneekönigin, ein fragiler, frostglitzernder Traum. Den Kindern müsste man jetzt Andersens Märchen vorlesen, wenn man bloß nicht so müde wäre.
Der Tag danach: Wir müssen in den Morgen hinaus. Vermummt kriechen wir raus, strecken die starren Glieder. "Na, wie war's?", fragt Alex. Begeistert antworten alle: "Ganz schön kalt!"Mit klammen Fingern versuchen wir, die Riemen unserer Schneeschuhe festzuzurren. Schneekristalle glitzern wie ein Diamantenmeer. Walter schmilzt Schnee für den ersten Café. Nescafé-Instant-Cappuccino. Egal. Hauptsache, heiß. Wir steigen ab ins Gasthaus zum Frühstück und Schuhetrocknen. Am Tisch ist es zu gemütlich, keiner will mehr aufstehen. Alex und Walter haben noch ihren Kumpel Christian zum Eisklettern mitgebracht. Schon der Anblick seiner Ausrüstung lässt uns frösteln. An den Schuhen glitzern stählerne Steigeisen mit fingerlangen Frontzacken und seitlichen Zähnen wie in einem Haifischmaul; in den Händen hält er entschlossen die Eispickel, und wir überlegen, wer von uns die bescheuerte Idee hatte, auch noch auf gefrorenem Wasser entlangzuturnen.In Ochsengarten gibt's vereiste Wasserfälle. Und im Pitztal finden sich kirchturmhohe Eiszapfen im Labyrinth abgelegter Gletscher (2600 m). Christian hängt eine Stunde später Spinnen gleich an überhängenden, vereisten Felsen herum. Im Nu ist er oben. Ein eiskalter Aufsteiger.Wir sind dran, die Kinder lehnen ab. Sie frieren, die vielen Sicherheitsgurte drücken zu fest, und überhaupt: Sie sind müde. Sie schauen lieber zu, wie die Alten sich abmühen. Jeder Kick mit den eisenbewehrten Steigeisen in eisiges Blau kostet Kraft, und bei den harten Pickelhieben erlahmen schnell die Arme. Nach sechs Metern bin ich fertig. Walter sichert mich mit den Seilen von oben ab, Alex hängt neben mir, sagt: "Weiter!" Ich schlage wieder zu, bringe aber die Beine nicht hoch. Eissplitter spritzen in die Augen. Beim Herausziehen des Pickels verliere ich das Gleichgewicht. Alex hat Erbarmen. Walter seilt mich ab. Ich lasse mich hängen.Abends in der Sauna des Feelfree-Resorts, einer Anlage mit Holz-Apartments. Andere Gäste des Hauses erzählen, dass sie heute nur zwölf Minuten am Lift angestanden haben, wie toll das Skigebiet hier sei und erst die Gaudi danach in den Hütten und so. Sie fragen mich, was ich denn so gemacht hätte. Zwei Tage im Berg verbracht, vereiste Wasserfälle durchklettert, im Iglu übernachtet, verschneite Hochebenen durchwandert, keine Lifte. Ehrfürchtiges Schweigen. Man hört nur noch das Zischen des Aufgusses. Erschöpft schließe ich die Augen.