Aus der deutschen Politik-Elite will niemand von den Abhöraktionen der US-Sicherheitsbehörde NSA gewusst haben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte auf Nachfrage des stern, sie habe erst durch die aktuelle Berichterstattung von der angeblich flächendeckenden Ausspähung Deutschlands erfahren. Über eine Sprecherin ließ sie mitteilen, die Bundesregierung werde den Sachverhalt "gemeinsam mit ihren amerikanischen und europäischen Partnern" aufklären. Die Kanzlerin betonte: "Jeder Eingriff in die Privatsphäre muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen."
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bekräftigen im stern ebenfalls, erst durch die Berichterstattung in der Presse von den NSA-Ausspähprogrammen erfahren zu haben. Friedrich sagte dem stern: "Die Wahl der Mittel bei der Bekämpfung von Kriminalität muss rechtsstaatlich und verhältnismäßig sein. Es kann keinesfalls um eine flächendeckende, anlasslose Überwachung aller Kommunikationsinhalte gehen, wie sie nun im Raum steht."
Steinbrück: "Für mich unvorstellbar"
Laut Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (SPD) sei es noch immer offen, "inwieweit der BND und auch die Bundesregierung von Ausmaß und Tiefe der Abhöraktion gewusst haben." Dem stern sagte er: "Definitiv unvorstellbar war für mich, dass die USA befreundete Regierungen und Einrichtungen der EU aushorchen." Er fordert "eine grundsätzliche Debatte darüber, in welchem Verhältnis private Schutzrechte zu Sicherheitsinteressen stehen." Als weitere Konsequenz aus dem Abhörskandal spricht er sich dafür aus, dass die EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung keinen Bestand mehr haben dürfe.
Der Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, forderte die Bundeskanzlerin auf, gegenüber den USA und Großbritannien klarzumachen, "dass diese Praktiken gestoppt werden müssen." Trittin sagte: "Wenn die Sicherheit die Freiheit abschafft, haben die Terroristen gewonnen." Der Grünen-Spitzenkandidat fordert, bestehende Vereinbarungen zum Datenaustausch wie SWIFT und PNR aufzukündigen. Trittin: "Die Bürger müssen in die Lage versetzt werden, ihre digitale Kommunikation zu verschlüsseln."
Geheimdienste wollten sich nicht äußern
Weder Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Verfassungsschutzes, noch Gerhard Schindler, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), wollten sich gegenüber dem stern zu dem Abhörskandal äußern.