Gesundheitswirtschaft Dicke kosten Milliarden

Immer mehr Deutsche werden immer dicker - und sie kosten die Gesellschaft horrende Summen: bis zu 20 Milliarden Euro pro Jahr. stern.de sprach mit dem Gesundheitsökonomen Jürgen John, warum Dicksein so verdammt teuer ist.

Herr John, was macht Fettleibigkeit so teuer?

Fettleibigkeit selbst ist nicht der Kostentreiber. Laut internationaler Studien verursacht die direkte Behandlung lediglich zwei bis acht Prozent der Kosten. Fettleibigkeit ist deswegen so teuer, weil sie so viele Risikofaktoren nach sich zieht. Insbesondere bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen spielt die Fettsucht eine große Rolle. Gäbe es nur Normalgewichtige, hätten wir nur halb so viele Herzinfarkte. Dementsprechend würden wir auch die Hälfte dieser Behandlungskosten sparen.

Das bedeutet im konkreten Fall?

Die Behandlung eines Herzinfarktes im Krankenhaus kostet zum Beispiel 8000 bis 9000 Euro. Hinzu kommen Medikamentenkosten von jährlich rund 1200 Euro pro Patient. Das läppert sich. Die Zahl der Diabetiker und die Zahl der Patienten mit Haltungsschäden oder Erkrankungen des Bewegungsapparates würden ebenfalls um zehn bis 30 Prozent sinken.

Dr. Jürgen John

... ist Gesundheitsökonom am staatlich geförderten GSF-Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen (GIM) in Neuherberg bei München. Weitere Infos unter:
www.gsf.de

Welche Kosten verursacht der Einzelne, der krankhaft dick ist?

Das Gesundheitssystem muss pro Jahr für einen Fettleibigen mit einem Body-Mass-Index über 35 durchschnittlich 1700 Euro mehr aufbringen als für einen Normalgewichtigen. Für stationäre Aufenthalte, Arztbesuche und Medikamente bezahlen die Kassen bei Normagewichtigen jährlich 850 Euro, für einen Fettleibigen 2.500 Euro. Damit weisen schwer Adipöse im Durchschnitt um mehr als 70 Prozent höhere Kosten in der medizinischen Versorgung auf. Besonders deutlich ist der Unterschied bei den stationären Aufenthalten und bei der Verschreibung rezeptpflichtiger Medikamente.

Gibt es noch weitere Kosten?

Ja. in neuen Berechnungen müssten auch die Kosten für Reha-Maßnahmen und für Heilbehandlungen einfließen. Zudem haben Fettleibige längere und häufigere Arbeitsausfälle, was wir als indirekte Produktivitätskosten bezeichnen. Die belaufen sich nach unseren Berechnungen in Deutschland auf zwei bis fünf Milliarden Euro jährlich.

Gibt es eine Chance, dass sich der Trend bald umkehrt?

Wir haben allenfalls ein paar Signale, dass der Trend zu mehr Fettleibigkeit stagniert, zumindest bei den Älteren. Bei Kinder und Jugendlichen wissen wir noch nicht genau, wo die Entwicklung hingeht, da gibt es widersprüchliche Hinweise. Bisher mussten wir feststellen, dass es nicht nur immer mehr Übergewichtige gibt, sondern dass auch innerhalb der Gruppe der Übergewichtigen der Anteil der schwer Adipösen am stärksten steigt.

Wie entwickeln sich die Kosten weiter?

Selbst wenn wir heute den Trend stoppen könnten, werden die Kosten für das Gesundheitssystem weiter steigen. Denn die Begleit- und Folgeerkrankungen der Fettleibigkeit treten heute schon bei viel jüngeren Altersgruppen auf. Dass ein 18-Jähriger Altersdiabetes hat, ist ja schon nichts Ungewöhnliches mehr. Wir werden nicht umhin kommen, die Folgekosten abzuarbeiten – und wir müssen wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen, die auch das Gesundheitssystem entlasten.

Zu fett, zu süss. Warum ernähren sich die Deutschen zu schlecht?

Aus ökonomischer Sicht muss man sagen, dass ungesunde Nahrung im Verhältnis zu gesunder Nahrung in den vergangenen Jahren immer billiger geworden ist. Das heisst, der Anreiz für eine ungesunde Ernährung wird gesetzt und nicht umgekehrt.

Es gibt inzwischen viele Bewegungsangebote und Ernährungsprogramme. Warum fruchten die Ansätze offenbar nicht?

Ich denke, dass die Effektivität von Maßnahmen und Programmen viel zu wenig untersucht wird. Und Aktionismus hilft meiner Meinung nach hier nicht wirklich weiter. Es muss dabei auch immer die Frage gestellt werden: Was kostet das Programm, und welche Ersparnis bringt es?

Was kann der Gesetzgeber tun?

Ich denke, die Entscheidung des Gesetzgebers, dass es gewichtsregulierende Medikamente nur auf Privatrezept gibt, war ein Fehler. Man hätte vorher untersuchen sollen, welche Folgekosten das nach sich zieht. Das sollte auf jeden Fall nachgeholt werden.

Interview: Inga Niermann