Herr de Botton, wir stecken mitten in einer Weltwirtschaftskrise und Sie ...
... ich ahne, was Sie fragen wollen. Sie wollen wissen, ob es nicht ein wenig verrückt ist, sich in Zeiten wie diesen Gedanken über die Schönheit von Architektur, Möbeln und Design zu machen ...
… stimmt. Das scheint in diesen Zeiten doch eher ein Hobby für wohlhabende Schöngeister zu sein.
Nein. Gute Architektur hat nicht in erster Linie mit Geld zu tun. Deshalb ist es wirklich traurig, dass sich nur wenige Menschen mit dem Thema beschäftigen. Denn Architektur beeinflusst unsere Seele. Was sich die wenigsten von uns klarmachen: All die Architektur, die uns täglich um- gibt - angefangen von unserer eigenen Wohnung über die Straßen, die wir auf dem Weg zur Arbeit passieren, bis hin zur Stadt, in der wir leben -, wirkt sich mindestens so sehr auf unser Wohlbefinden aus wie das Wetter. Ein grauer Betonklotz kann unsere Stimmung genauso ruinieren wie ein Regenschauer. Nur machen wir uns darüber viel zu selten Gedanken.
Wie findet man denn heraus, wie sehr sich die eigene Wohnung, das Viertel, in dem man wohnt, oder die Stadt auf die eigene Stimmung auswirkt?
Zuerst ist es wichtig, sich seinen eigenen Geschmack bewusst zu machen. Ich empfehle folgende erste Lektion: Schnappen Sie sich Ihre Kamera, und laufen Sie damit durch die Nachbarschaft. Fotografieren Sie alle Gebäude, die Ihnen gefallen, aber auch solche, die Sie ganz und gar nicht schön finden. Legen Sie die Aufnahmen dann in Ruhe nebeneinander, vergleichen Sie, und versuchen Sie, exakt zu benennen, was es genau ist, was Ihnen gefällt und was nicht. Das ist schwieriger, als man denkt.
Lektion zwei?
Gebäuden oder einzelnen Einrichtungsgegenständen kann man menschliche Eigenschaften zuschreiben. Ein Sofa kann elegant sein oder selbstbewusst. Fragen Sie sich: Wenn dieses Gebäude oder jener Raum oder jenes Möbel eine Person wäre, würde ich sie mögen?
Weniger ist mehr
Die fünf besten Einrichtungstipps von Alain de Botton:
1. Bevor du einen Design-Shop leer kaufst, sei dir im Klaren darüber, welche Bedürfnisse du wirklich hast.
2. Es ist besser, in einer leeren Wohnung mit wenigen guten Dingen zu leben, als das Zuhause mit billigem überflüssigem Kram zu füllen.
3. Such dir einen Stil, der das ausgleicht, was dir fehlt. Als unruhiger Mensch solltest du in einer ruhigen Umgebung wohnen.
4. Akzeptiere, dass du mit deinem Partner immer wieder über die Einrichtung diskutieren wirst - ihr mögt euch auch, weil ihr unterschiedlich seid.
5. Versuche, dich beim Einrichten in die Zukunft zu versetzen. Wähle Dinge, die dir auch in zehn Jahren noch gefallen.
Und dann?
Wir empfinden Architektur oder Einrichtung als schön, wenn wir entdecken, dass sie in konzentrierter Form etwas enthält, das uns persönlich fehlt. Einer introvertierten Person beispielsweise können hohe Decken guttun. Weil sie einem das Gefühl vermitteln, man könne sich selbstbewusst ausstrecken. Eine Familie, in der es eher kühl und sehr förmlich zugeht, kann näher zusammenrücken, wenn sie die eigene Förmlichkeit mit einer besonders gemütlichen Einrichtung durchbricht.
Wir sitzen in Ihrem Wohnzimmer. Das ist sehr modern und eher minimalistisch eingerichtet. Warum?
Für einen unruhigen Charakter wie mich ist es eine Wohltat, in einer unaufgeregten Umgebung zu wohnen. Ich wäre gern so ausgeglichen wie mein Haus. Wenn ich schlechte Laune habe und durch die Zimmer gehe, flüstert es mir zu: "Hey, sieh dich an. Warum bist du nicht ruhig und ausgeglichen wie ich?" Mir hilft das sehr. Mein Haus lenkt mich in die richtige Richtung.
Alain de Botton
wurde 1969 als Spross einer Bankiersfamilie in Zürich geboren, studierte Geschichte und Philosophie in Cambridge. Er lebt mit seiner Frau und den zwei kleinen Söhnen im selbst entworfenen Haus in London. In seinen Essays und Büchern ("Versuch über die Liebe", "Die Kunst des Reisens") macht sich de Botton auf die Suche nach dem Glück im Alltäglichen. Sein Streifzug durch die Architektur, "Glück und Architektur - von der Kunst, daheim zu Hause zu sein", ist im S. Fischer Verlag erschienen (22,90 Euro).
Dieses große Haus, in dem Sie mit Ihrer Frau und Ihren beiden kleinen Kindern wohnen, konnten Sie nach Ihren Ideen bauen lassen. Jedes einzelne Zimmer haben Sie nach Ihren Vorstellungen eingerichtet. Die Durchschnittsfamilie jedoch lebt auf 90 Quadratmetern. Was empfehlen Sie ihr?
Der Mensch braucht Raum. Und den nötigen Platz kann sich selbst der schaffen, der nur wenige Quadratmeter zum Wohnen hat. Je kleiner ein Haus oder eine Wohnung, desto besser muss man planen und überlegen. Das Verrückte ist ja: Es ist heutzutage so leicht, unendlich viele Sachen zu besitzen. Alles ist so billig, die Wohnungen sind vollgepropft mit Dingen, die niemand benutzt. Ich rate jedem, gründlich zu entrümpeln und zu prüfen: Was brauche ich wirklich, was liegt nur herum? Überflüssige Dinge bringen einen nur durcheinander. Weg damit!
Wie sollten wir unsere Wohnungen einrichten, damit sie uns glücklich machen?
Architektur - egal, ob draußen oder drinnen - braucht Zeit. Einer der größten Fehler beim Bauen und Einrichten ist es, in Hektik zu verfallen, in der Eile zu laut zu werden und das richtige Maß zu verlieren. Schon wenige Gegenstände können eine große Wirkung entfalten. Stellen Sie sich einen Raum im Kloster vor. Es gibt nicht viel mehr darin als ein Kreuz an der Wand. Aber allein dieses Kreuz entfaltet eine enorme Stimmung. Das heißt nicht, dass sich alle Leute Kreuze aufhängen sollen. Aber der Gedanke, dass ein einzelnes Objekt so viel Kraft hat, ist schön. Man muss nicht viel besitzen. Investieren Sie lieber in ein paar gute Sachen als in viele mittelmäßige oder minderwertige.
Heute kommt man sehr selten in Wohnungen, deren Einrichtung etwas über die Persönlichkeit der Bewohner und deren Sehnsüchte verraten. In vielen Haushalten stammen die meisten Möbel ja doch von Ikea.
Solange die Möbel zur eigenen Persönlichkeit passen, muss Mainstream nicht schlecht sein. Ich finde nicht, dass alles immer individuell und noch nie da gewesen sein muss. Ich mag die Idee von Ikea: gutes Design für alle. In der Praxis jedoch merkt man, dass viele Ikea-Möbel ein Kompromiss sind und die Qualität oft nicht so hoch ist, wie sie sein sollte.
Was sind die schlimmsten Einrichtungssünden?
Ich persönlich mag witziges Mobiliar nicht. Ein Sofa, das als Lippenpaar geformt ist - entsetzlich. Genauso schlimm sind Fernseher, die den Raum dominieren. Im Büro sitzen wir vor dem Computer, auf der Straße blinken uns Anzeigentafeln entgegen, und zu Hause wartet ein Riesenbildschirm. Wir werden eines Tages noch verrückt werden.
Sie sind ja sogar der Ansicht, eine Türklinke oder ein Wasserhahn könne sich auf unser Wohlbefinden auswirken. Ist das nicht ein wenig übertrieben?
Auch Kleinigkeiten sind wichtig! In anderen Lebensbereichen sind wir doch auch detailversessen. Und weil niemand aufschreit, werden überall billige und hässliche Türklinken angebracht.
Welche Rolle spielt Licht fürs Wohnglück?
Derzeit sind große Fensterfronten ja sehr in Mode. Das Problem ist: Wer viel Licht hat, kann dessen Nuancen gar nicht mehr wahrnehmen. Kleine Fenster können durchaus raffiniert sein, weil sie mehr mit den Strahlen spielen.
Wo wirkt Architektur stärker: auf dem Land oder in der Stadt?
Auf dem Land kommt man mit schlechter Architektur besser zurecht. Man hat ja die schöne Natur als Ausgleich.
Sie wohnen in London, einer Stadt, die Sie selbst als eine der hässlichsten bezeichnen.
Stimmt. London macht mich häufig fassungslos. Ich gehe durch die Stadt und frage mich: Welcher Idiot ist für all die Scheußlichkeiten verantwortlich?
In vielen Städten ist der alte Stadtkern schön, aber was in den letzten Jahrzehnten drum herum gebaut wurde, nicht. Waren die Architekten früher besser?
Viele Architekten haben den Bezug zur Realität verloren. Statt für die Menschen zu bauen, die in ihren Häusern wohnen oder arbeiten sollen, denken sie nur an sich selbst: Sie bauen, um beachtet zu werden. Dass gutes Design eine Frage der Höflichkeit und der Menschenfreundlichkeit ist, wird allzu oft vergessen. Architekten haben oft etwas gegen Traditionen und wollen sich immer wieder neu erfinden.
Sind denn allein die Architekten schuld an der Misere? Sind wir nicht auch ein bisschen mitverantwortlich für all die Tristesse aus Glas und Beton? Weil wir uns mit unfreundlicher Architektur zufrieden geben?
Uns fehlt eine Architektur-Erziehung. Die müsste schon in der Schule beginnen. Kunst und Literatur stehen in jedem Lehrplan, warum Architektur nicht? Wir müssen lernen, gute Dinge zu wollen. Wir dürfen uns keinen Murks vorsetzen lassen, geschweige denn, ihn zu unserem Zuhause machen.
Bei manchen Paaren scheint selbst der Kauf von Bettwäsche zu ernsthaften Beziehungsproblemen zu führen ...
Damit das Zusammenleben nicht an Einrichtungsfragen scheitert, kann man versuchen, besser zu verstehen, warum jemand etwas schön findet, wovon man selbst nicht halb so begeistert ist. Ein gutes Beispiel sind Freunde von mir: Sie hasst alles Moderne, er mag es gerne. Die beiden haben überlegt, woher ihre unterschiedlichen Geschmäcker kommen. Letztlich hat sich herausgestellt, dass sie gern Möbel von ihrer Großmutter um sich hätte, weil die ihr das Gefühl etablierten Wohlstands vermitteln. Eine moderne Einrichtung weckt bei dieser Frau Verarmungsängste.
Was können Menschen daraus lernen, die sich immer wieder wegen ihres unterschiedlichen Geschmacks in die Haare geraten?
Wenn man nachvollziehen kann, woher manche Vorlieben kommen, dass manchmal sogar unbewusst Ängste eine Rolle spielen können - dann fällt es leichter, Kompromisse zu machen. In einem gemeinsamen Zuhause sollen alle glücklich sein.