Aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen in Krankenhäusern und Praxen gehen seit Wochen tausende Ärzte auf die Straße. Auch an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) wurde am Mittwoch wieder gestreikt. Doch die Ärzte an der MHH hatten "keine Lust, in einem Streiklokal zu sitzen und Kuchen zu essen," wie die Anästhesistin Maike Höltje beschreibt. "Stattdessen wollten wir den Streik mit Inhalt füllen," so Höltje - und organisierte für den Streiktag kurzerhand eine Jobbörse für Ärzte, zu der sie namhafte Headhunter-Agenturen einlud.
Große Unzufriedenheit bei Klinikärzten
Bei dieser Jobbörse sollten sich die Jung-Mediziner an der MHH ein Bild von der Arbeits- und Gehaltssituation im Ausland machen, denn der Frust unter heimischen Ärzten ist groß: Sie klagen über zu viel Bürokratie, schlechte Rahmenbedingungen und zu wenig Geld. Dabei sorgt vor allem das am 1. Januar 2006 in Kraft getretene Arbeitszeitgesetz für Klinikärzte für Unmut. Laut einer aktuellen Untersuchung von Steria Mummert Consulting in Kooperation mit der Fachzeitschrift "kma", rechnen zwei Drittel der Fachkräfte in deutschen Krankenhäusern mit massiven Einkommenseinbußen.
Klingt nach einem idealen Umfeld für Headhunter: eine Menge unzufriedener Ärzte, die quasi nur noch "geerntet" werden müssen. Doch Wolfgang Wannoff, von der PM Recruitment GmbH, wiegelt ab: "Wir können bei solchen Veranstaltungen gar nicht sagen, wie viele Vermittlungen sich dadurch tatsächlich ergeben." Wichtig sind solche Jobbörsen für ihn trotzdem: "Wir setzen natürlich auf den Multiplikatoreffekt solcher Veranstaltungen." Wenn Ärzte im Freundeskreis das Gehörte weitererzählen oder sich Monate später doch zu einer Kontaktaufnahme entscheiden hat es sich für den Headhunter allemal rentiert.
Geld ist auch ein Thema - aber nicht nur
Auch Katja Philipp vom Personalvermittler Adecco ortet eher "diffuses Interesse". Die Ärzte kämen erst einmal um sich zu erkundigen, was sie überhaupt tun müssten, wenn sie im Ausland arbeiten wollen. "Dabei steht natürlich auch die Bezahlung als Motivationsgrund ganz weit vorne." Generell ginge es aber den meisten eher um die Verbesserung ihrer gesamten Situation.
So seien auch die in den Medien kursierenden Horrorzahlen über den "Ärzte-Drain" ins Ausland laut Wannoff "völliger Humbug". Wer zum Beispiel in Großbritannien, einem der Migrationsziele deutscher Ärzte, arbeiten will, braucht eine britische Approbation. "So kann man eigentlich ganz einfach feststellen, wie viele Ärzte sich tatsächlich dorthin abgesetzt haben." Statt der stets zitierten 10.000 hatten Ende 2004 allerdings nur 3000 Deutsche gleichzeitig eine britische Approbation.
"Und da gibt es zwischen dem deutschen Arzt und dem deutschen Bürgen kaum Unterschiede," erzählt Wannoff. Beide sind nicht "klassisches Auswanderermaterial". Bloße Unzufriedenheit ist den meisten nicht Grund genug, um ihre Heimat zu verlassen. Dr. Kai Johanning, einer der Besucher auf der Jobbörse, nutzt sie denn auch "nur zur allgemeinen Information." Sein Kollege Dr. Lars Friedrich erkundigte sich zwar schon zielgerichteter nach Arbeitsmöglichkeiten für Ärzte in Skandinnavien. Aber eigentlich wäre allen Anwesenden lieber, wenn die Arbeitsbedingungen in Deutschland besser wären - und sie sich so den Gang ins Ausland sparen könnten.
Leidensdruck wird steigen
Doch der Leidensdruck dürfte sogar noch wachsen: Denn die neuen Regelungen sehen eine Änderung der Vergütung für Bereitschaftsdienste vor, die ab nun als reguläre Arbeitszeit gewertet werden. Um den Bereitschaftsdienst in die reguläre Arbeitszeit zu überführen, kommt auf die Kliniken also ein Mehrbedarf an Ärzten zu. Folge: Die Kosten für die Krankenhäuser werden weiter steigen und die Arbeitsbedingungen sich weiter verschlechtern.
"Natürlich wechselt kaum jemands ins Ausland, wenn er hier zufrieden ist," sagt Wannoff. So melden sich bei ihm auch viele aus der "Schnauze-voll-Gruppe". Doch nicht alle kann er brauchen. "Gescheiterte Existenzen versuchen wir auszusieben," erklärt der Headhunter. "Wer hier nicht klar kommt, ist auch im Ausland nicht gut vermittelbar."