Herr Grün, was haben wir bislang wir aus Ihrer Sicht aus der Wirtschaftskrise gelernt? Haben wir überhaupt etwas gelernt?
Das ist schwer zu sagen. Die Krise hat bei vielen eine Nachdenklichkeit erzeugt, aber es ist eine Illusion zu glauben, dass die Gier aus den Köpfen der Menschen komplett vertrieben wurde. Die meisten werden so weiter machen wie bisher. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass es zumindest einige Menschen gibt, die etwas aus der Krise gelernt haben und ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es so nicht weitergehen kann.
Sie sprechen von Hoffnung, viel davon scheinen Sie selbst nicht zu haben.
(lacht) Ich versuche, in meinen Vorträgen diese Hoffnung anzusprechen. Ich kann sicher nicht die Menschen erreichen, die tief von Ihrer Gier durchsetzt sind. Aber was ich erlebe ist, dass die Zahl der Nachdenklichen steigt. Darauf vertraue ich.
Viele verurteilen das Verhalten der Banker. Aber haben wir es nicht mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun? Sind wir nicht alle gierig?
Ich würde niemals nur allein die Banker kritisieren. Das ist auch ein Phänomen der Krise: Wir brauchen einen Sündenbock, damit wir uns nicht an die eigene Nase fassen müssen. Wir wälzen die Schuld ab. Das ist aber der falsche Weg. Die gesamte Gesellschaft trägt eine Verantwortung. Wir haben unsere Werte falsch ausgerichtet. Es geht nur noch darum, immer mehr Geld zu verdienen, man definiert sich nur über das, was man hat. Das fängt schon bei den Kindern an, die nur mit Markenkleidung aus dem Haus gehen wollen.
Was sollten wir aus der Krise lernen?
Wir sollten uns die Frage stellen: Worin besteht der Sinn meines Lebens? Alle Menschen wollen glücklich werden, das ja auch natürlich, das liegt in der Natur des Menschen. Aber Geld allein macht nicht glücklich. Wir brauchen andere Werte. Wir müssen zu uns selbst finden und nicht nur in materiellen Dimensionen denken. Wir tragen Verantwortung für andere. Menschen, die nur ihre eigenen Bedürfnisse erfüllen, haben den Sinn des Lebens nicht erkannt.
Ist das wirklich umsetzbar?
Meine Erfahrung ist, dass sich viele Menschen nach dieser inneren Freiheit sehnen und sich von den Ketten des immer mehr, des mehr schneller befreien wollen.
Was könnte die Politik in der aktuellen Krise besser machen?
Natürlich kümmert sich die Politik um sachliche Lösungen. Aber jeder Politiker hat auch Macht- und Geltungsbedürfnisse. Und wenn diese Bedürfnisse zu stark sind, werden auch die sachlichen Lösungen darunter leiden. Es gab in der Krise richtige Ansätze, wo die Parteien sehr verantwortungsvoll miteinander umgegangen sind. Jetzt im Wahlkampf geht es natürlich nur noch um die eigene Partei, das eigene Ego.
Hat die Politik es verpasst, diese Krise auch als Chance zu betrachten? Als Chance für einen Wandel?
Das kann man jetzt noch nicht abschließend beurteilen. Derzeit werden die Machtspiele wieder wichtiger als die Sachlösungen. Die notwendige Veränderung beginnt aber bei uns allen. Da sind wir alle mitverantwortlich: die Kirchen, die Medien, die Öffentlichkeit. Die Frage ist: Wie sprechen wir über unser Leben? Was ist uns wichtig? Welche Werte transportieren wir über unsere Sprache? Wir sind da sehr oberflächlich, zu kapitalistisch.
Wie viel Geld verdienen Sie pro Monat?
Ich verdiene für mich überhaupt kein Geld. Alles, was ich bekomme, geht an das Kloster.
Welchen Ratschlag würden Sie Bundeskanzlerin Angela Merkel geben?
Politiker haben die Aufgabe, Werte wie Ehrlichkeit und Verantwortung stärker in der Gesellschaft zu verankern. Wir dürfen nicht oberflächlich und populistisch agieren.