Gesundheitsreform Arme verzichten auf notwendige Arztbesuche

Die medizinische Versorgung einkommensschwacher Menschen hat sich laut Nationaler Armutskonferenz durch die Gesundheitsreform massiv verschlechtert. Die Konsequenz: Erkrankungen werden verschleppt, die Lebenserwartung sinkt.

Seit der Einführung der Praxisgebühr Anfang 2004 gingen arme Menschen deutlich weniger zum Arzt, sagte der Sprecher der Konferenz, Caritas-Direktor Hans-Jürgen Marcus, am Montag in Hannover. Dadurch werden Erkrankungen verschleppt und wichtige Vorsorgeleistungen wie Impfungen nicht Anspruch genommen. Nach einem Bericht der Organisation verzichten einkommensschwache Menschen nach der Einführung der Praxisgebühr auf fast jeden fünften Arztbesuch.

Verschleppte Erkrankungen

Die Zahl der Konsultationen ist bei Personen mit einem Einkommen unter 1000 Euro um 19 Prozent zurückgegangen, bei Bürgern mit einem Einkommen über 3000 Euro aber nur um acht Prozent, sagte der Gesundheitsspezialist der Konferenz, Gerhard Trabert. Folge unbehandelter Erkrankungen ist etwa ein vermehrte Zahl von Lungenentzündungen und eine steigende Tuberkuloserate.

Arme Menschen hätten ohnehin eine geringere Lebenserwartung, betonte der Professor. So wurde der Herzinfarkt mittlerweile von einer einstigen Managerkrankheit zu einer Erkrankung der sozial Benachteiligten. Außerdem ist bei Arbeitslosen die Suizidrate 20 Mal höher als bei Erwerbstätigen. Wer zum Fünftel der Bevölkerung mit dem niedrigsten Einkommen zählt, hat im Schnitt ein um sieben Jahre kürzeres Leben als ein Bundesbürger aus dem Fünftel mit dem höchsten Einkommen.

Arme sollten von Zuzahlungen befreit werden

Die Nationale Armutskonferenz verlangte, Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II von Praxisgebühr und Zuzahlungen zu Arzneimittel zu befreien. Außerdem müsse man immer wieder darauf hinweisen, dass Leistungen für Kinder unter zwölf Jahren schon jetzt kostenfrei seien. "Arme Familien gehen häufig nicht zum Arzt, weil sei irrtümlich vermuten, zur Kasse gebeten zu werden", sagte Caritas-Direktor Marcus. Die Nationale Armutskonferenz, deren Vorstand den Bericht in Hannover vorstellte, ist ein Zusammenschluss von Wohlfahrtsorganisationen und Selbsthilfegruppen.

AP AP

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