Nach dem «Super-Tarifjahr» 2002 steht diesmal nur eine «Mini-Tarifrunde» bevor. Als erste große Branche macht an diesem Dienstag (18. März) die Druckindustrie mit ihren mehr als 200.000 Beschäftigten den Anfang. Am Donnerstag folgt die westdeutsche Chemieindustrie mit 580.000 Beschäftigten, dann der Einzelhandel. In anderen Wirtschaftszweigen wie der Metall- und Elektroindustrie, am Bau, bei den Banken und im öffentlichen Dienst ist wegen länger laufender Verträge in diesem Jahr Pause.
Strategiewechsel
Noch vor dem Auftakt der Tarifrunde 2003 ist aber bereits erkennbar, dass die Gewerkschaften diesmal mit einer anderen Strategie antreten. Beim vorigen Mal waren sie auch in Erwartung eines baldigen Aufschwungs mit dem Ruf nach «Geld, Geld und nochmals Geld» an den Verhandlungstisch gekommen. Diesmal verzichten sie auf hohe Forderungen von 6,5 Prozent und mehr.
Inflationsausgleich gefordert
Die IG Bergbau, Chemie, Energie verlangt einen Ausgleich für Inflation und Produktivitätszuwachs, was sich zu etwa 4,5 Prozent addiert. Für die Druckindustrie fordert ver.di drei Prozent mehr Lohn und Gehalt. Im Einzelhandel mit seinen bundesweit 2,5 Millionen Beschäftigten will ver.di nach den ersten Beschlüssen 3,5 Prozent durchsetzen, mindestens aber 70 Euro.
"Abschlussnahe Forderungen"
Von den Gewerkschaftsstrategen bei ver.di werden diese Prozentmarken als «abschlussnahe Forderungen» verkauft. «Wir wollen keinen dieser monatelangen Tarifkonflikte mit all den üblichen Ritualen, sondern ergebnisorientierte Gespräche von Anfang an», sagt der ver.di-Tarifkoordinator für den Einzelhandel, Rüdiger Wolff.
Vorbild anderer Tarifabschlüsse
Vorbild soll der Abschluss im Öffentlichen Dienst sein. Dort hatte ver.di-Chef Frank Bsirske bei seiner ersten Tarifrunde im vergangenen Jahr gleich mit einer gemäßigten Forderung von drei Prozent begonnen. Am Ende standen 2,4 Prozent für 2003 sowie zwei Stufenanhebungen von 1,0 Prozent für 2004. Für viele im Gewerkschaftslager lässt sich die Taktik aber nicht automatisch auf die nächsten Tarifrunden übertragen.
Viele gegen 'wenig Verhandlungsmasse'
Vor allem von den Älteren sind viele noch immer dafür, möglichst weit oben zu beginnen und sich möglichst wenig herunter handeln zu lassen. Denn mit einer «abschlussnahen Forderung» gibt es nicht nur weniger Verhandlungsmasse. Zusätzlich riskiert die Gewerkschaft große Enttäuschung bei den Mitgliedern, falls der Abschluss deutlich niedriger ausfällt.
Regional verschiedene Tarifabschlüsse
Deshalb wird es im Handel - wo regional verhandelt wird - von einigen Tarifkommissionen auch höhere Forderungen geben. Mehr als 4,5 Prozent sollen es aber nirgendwo werden. Der ver.di-Chefverhandler für die Druckindustrie, Frank Werneke, spricht ebenfalls von einer «Erprobungsstrategie». «Wenn uns die Arbeitgeber mit einem extrem niedrigen Angebot provozieren, wird dies eine Ausnahme bleiben.»
Arbeitgeber nennen Forderungen "realitätsfern"
Und so sieht es derzeit auch aus. Auf der anderen Seite sind die Forderungen nicht gut angekommen. Angesichts von Konjunkturflaute und 4,7 Millionen Arbeitslosen halten die Arbeitgeber den Gewerkschaften Wunschdenken vor. «Das ist nicht abschlussnah, sondern völlig realitätsfern», findet der Tarifexperte des Einzelhandelsverbandes HDE, Heribert Jöris. Angesichts eines Umsatz-Einbruches um 2,2 Prozent und knapp 10 000 Firmenpleiten im vergangenen Jahr gebe es überhaupt nichts zu verteilen. «Angemessen wäre eine Nullrunde.»
Altbekannte Forderungen
Bei den Druck-Arbeitgebern hört sich das kaum anders an. «In Wahrheit ist das eine Forderung der ganz alten Art», sagt Verhandlungsführer Thomas Mayer. Der Bundesverband Druck macht den 3,4-Prozent-Abschluss aus dem vergangenen Jahr dafür verantwortlich, dass in der Branche mehr als 8.000 Stellen verloren gingen und es einen neuen Insolvenzrekord gab. Im neuen Vertrag will Mayer deshalb mehrere Null-Monate durchsetzen und eine möglichst lange Laufzeit. Trotz der neuen Töne wird deshalb sowohl bei den Druckern als auch im Einzelhandel mit harten und langen Auseinandersetzungen gerechnet. Deshalb könnte es wieder einmal in der Chemieindustrie, die traditionell eher geräuschlos verhandelt und stolz auf ihre «Sozialpartnerschaft» ist, zum ersten großen Abschluss der Tarifrunde 2003 kommen. Die dritte und wohl entscheidende Runde ist für Mai geplant.