Die Europäische Zentralbank (EZB) erhöht angesichts der Rekordinflation erstmals seit elf Jahren die Zinsen im Euroraum. Der Leitzins steigt unerwartet kräftig von null auf 0,50 Prozent, der Negativzins von minus 0,50 Prozent für geparkte Gelder von Geschäftsbanken entfällt, wie die EZB am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Die Zinserhöhungen treten zum 27. Juli in Kraft.
Damit entfällt zur Freude der Sparer auch der Negativzins von minus 0,50 Prozent für geparkte Gelder von Geschäftsbanken. Viele Institute gaben diese Belastung in den vergangenen Jahren an Privatkunden als sogenanntes Verwahrentgelt weiter. Der Leitzins, zu dem sich Kreditinstitute bei der EZB Geld leihen können, steigt von null Prozent auf 0,50 Prozent. Für die nächsten Sitzungen kündigte die EZB weitere Zinserhöhungen an.
Die EZB flankiert ihre Zinswende zudem mit einem neuen Anti-Krisen-Programm. Das Instrument soll sicherstellen, dass die Erhöhung der Zinsen einzelne Länder nicht über Gebühr belastet, das sogenannte Transmission Protection Instrument (TPI). "Das TPI wird das Instrumentarium des EZB-Rats ergänzen und kann aktiviert werden, um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen", erklärte die Notenbank. "Der Umfang von Ankäufen im Rahmen des TPI hängt von der Schwere der Risiken für die geldpolitische Transmission ab. Die Ankäufe sind nicht von vornherein beschränkt."
Kritiker werfen EZB zu späte Zinswende vor
Den Kurswechsel hatte der EZB-Rat bereits bei seiner vorherigen Sitzung im Juni angebahnt, allerdings einen kleineren Zinsschritt von jeweils 0,25 Prozentpunkte in Aussicht gestellt. "Der EZB-Rat hielt es für angemessen, einen größeren ersten Schritt auf dem Weg zur Normalisierung der Leitzinsen zu tun, als er auf seiner letzten Sitzung angekündigt hatte", teilte die Notenbank nun mit. Diese Entscheidung beruhe auf der aktualisierten Einschätzung der Inflationsrisiken durch den EZB-Rat.
Kritiker werfen der EZB vor, die Zinswende viel zu spät einzuleiten. Die Teuerung im Euroraum zieht seit Monaten auf Rekordniveau an. Zugleich haben sich die Wirtschaftsaussichten wegen des Krieges in der Ukraine verschlechtert. Hebt die EZB die Zinsen in diesem Umfeld zu rasch an, könnte das vor allem für hochverschuldete Staaten in Südeuropa zur Belastung werden.
"Wenn sich die Inflationsaussichten nicht verbessern, werden wir über ausreichende Informationen verfügen, um schneller zu handeln", hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde Ende Juni gesagt. Der Prozess der Normalisierung der Geldpolitik werde "entschlossen und nachhaltig fortgesetzt werden". Für ihre Sitzung am 8. September hat die EZB bereits einen weiteren Zinsschritt in Aussicht gestellt.
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Hohe Verbraucherpreise im Euroraum
Im Juni lagen die Verbraucherpreise im Euroraum um 8,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Die EU-Kommission rechnet für das Gesamtjahr 2022 mit durchschnittlich 7,6 Prozent Inflation im Währungsraum der 19 Länder. Das wäre ein historischer Höchstwert und weit über dem von der EZB angestrebten stabilen Preisniveau mit einer jährlichen Teuerungsrate von zwei Prozent. Eine höhere Inflation schmälert die Kaufkraft von Verbraucherinnen und Verbrauchern, weil sie sich dann für einen Euro weniger leisten können.
Treiber der Inflation sind seit Monaten deutlich gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Lage verschärft. Das bremst auch das Wirtschaftswachstum in Europa. Hebt die EZB die Zinsen in diesem Umfeld zu rasch an, könnte das vor allem für hoch verschuldete Staaten in Südeuropa zur Belastung werden. Die EZB arbeitet daher an einem neuen Anti-Kriseninstrument, das sicherstellen soll, dass die Geldpolitik möglichst einheitlich im Währungsraum wirkt und eine Fragmentierung verhindert wird.