Insolvenzantrag Märklins Niedergang

Ein Mythos stirbt: Der Modelleisenbahnhersteller Märklin ist pleite. Die Banken haben das Vertrauen in die Investoren verloren. Nun streiten sich die Beteiligten, wer Schuld hat.

Schnell hat es sich herumgesprochen, hier im Göppinger Märklin Museum, in dieser kleinen, verwunschenen Schienenwelt. Rentner und Kinder - mit glasigen Augen schauen sie auf Hunderte von Loks und Waggons, die Schlepptenderlok BR530, die Diesellok V200, das berühmte Krokodil der Schweizer Bahn. Ein Güterzug rattert vorbei am Bahnhof Baden, den Berg hinauf und durch einen Tunnel, über Seen und Schluchten.

Wie lange wird es das hier noch geben? "Es ist wirklich traurig", sagt Hans Maier. Der Göppinger ist mit seiner Frau ins Museum gekommen. Ein Drama sei es. Für die Stadt, für die Mitarbeiter. Und das im Jubiläumsjahr. 150 Jahre wird Märklin alt.

Rettungsversuche gescheitert

Das Traditionshaus ist pleite. Alle Gespräche mit den Banken, alle Rettungversuche sind gescheitert. Ein Insolvenzverwalter wird mit den Gläubigern reden. Immerhin: Das Geschäft soll erst mal weiterlaufen.

Es ist die Pleite eines Mittelständlers. Und doch berührt sie das Land mehr. Für viele war Märklin ein Stück Kindheit, eine heile Welt, war Sonntagmorgen auf dem Dachboden mit Trafo, Blechschienen und V200-Loks.

Katastrophen gab es bisher nur in der Firmenzentrale. Über Jahre hinweg haben zerstrittene Erben und unfähige Manager die Firma herabgewirtschaftet. Nun der Todesstoß, und die Totengräber streiten sich: Die Banken waren ängstlich und stur, sagen die einen. Einer der Investoren hat Märklin ausgenommen, die anderen.

Vom Desaster überrascht

So sehr wurden Märklins Chefs von dem Desaster überrascht, dass sie vergaßen, eine Pressemitteilung zu stoppen. "Auf der Erfolgsschiene ins Jubiläumsjahr. Zum 150. Jahr der Firmengründung überrascht Märklin mit zwei historischen Raritäten - zeigt sich aber auch für die Zukunft gut gerüstet." Herausgegeben wurde die Meldung gestern Mittag, 13 Minuten nach der Pleitenachricht, von einer Agentur, die Märklin auf der Nürnberger Spielwarenmesse betreut.

Ihren Fehler bemerkte die Agentur schnell. Die Katastrophe hatte sich sofort auf der Messe herumgesprochen. Mit erschreckten Gesichtern drängten Kunden und Händler zum Märklin-Stand: "Stimmt das? Ist Märklin insolvent?" - "Kann ich nun nichts mehr bestellen?"

Die Modellbahnwelt ohne Märklin? Unvorstellbar. Die Firma hat sie doch erst begründet, anno 1891, als die Gründererben Karl und Eugen Märklin die erste Spieleisenbahn vorstellten, deren Gleise eine Norm hatten. Von nun an ließen sich die Loks und Waggons frei zusammenstellen, H0 wurde zu einem Fachbegriff, "halb null" - 16,5 Millimeter Spurweite. Dazu Beiwerk, Wälder, Berge, Menschen, Bahnhöfe. Alles nach rechtem Maß und detailgetreu. In der ganzen Welt wird die Märklin zum Schlager.

Tausende Euro für die Sammlung

Nie wird Märklin diese Faszination verlieren: Noch heute geben Sammler Hunderte und Tausende Euro aus, um ihrer Sammlung zu pflegen, noch heute besuchen Hunderttausende Gäste im Jahr Hamburgs Miniatur-Wunderland, in dem die größte Modelleisenbahn der Welt steht. Doch ihre Ertragskraft verliert die Marke. Die Erben zerstreiten sich, der Umsatz sinkt, 2006 steht die Firma das erste Mal vor der Pleite. Die letzte Hoffnung: Finanzinvestoren, Kingsbridge Capital und Goldman Sachs. So verzweifelt sind die Mitarbeiter, dass sie in ihrer Heimatstadt Göppingen für einen Verkauf an Kingsbridge demonstrieren - ein ungeheurer Vorgang in einem Land, das sich vor "Heuschrecken" fürchtet.

Zuerst sieht es nach einer Erfolgsgeschichte aus. Sicher, 300 Mitarbeiter müssen gehen, fremde Sitten ziehen ein, aber das Management, so scheint es, tut etwas. Es investiert in die Firma, lässt Fassaden streichen, den Parkplatz teeren; es kämpft um neue und alte Kunden, bietet Kindern bezahlbare Startsets und neureichen Russen einen Flagshipstore in Moskau. Es senkt die Kosten, lässt Bauteile in Ungarn und China fertigen. Ende 2007 bekommt Kingsbridge dafür sogar den Preis für Europas besten Turnaround von einem Verband für Sanierungsexperten.

Ständig wird das Management getauscht

Doch Geld verdient Märklin immer noch nicht. Im Gegenteil. Immer wieder enttäuschen die Zahlen. Und immer wieder gibt es den Vorwurf des Missmanagements: Liquiditätsklemmen würden nicht erkannt, die Auslagerung bringe Probleme bei Logistik und Qualität. Im Internet tauchen Bilder von Märklin-Loks mit Zinkpest auf - ein Imagedesaster. Auch im Unternehmen läuft vieles schief: Eine Mitarbeiterin muss vier Tage vor ihrem 40-jährigen Dienstjubiläum gehen, ganze Abteilungen, heißt es, seien wie gelähmt. Ständig wird das Management ausgetauscht. Zuletzt Ende des vergangenen Jahres, als Markenmanager Axel Dietz den Sanierern Ralf Coenen und Rainer Nothwang weicht. Dietz hatte zwar den Umsatz leicht auf 128 Millionen Euro erhöht - aber die Kosten sind weiter zu hoch. Erste Gerüchte tauchen auf: Sollen die Neuen wirklich sanieren? Oder abwickeln?

Mitte der vergangenen Woche dann der Schock: Man habe alle Konten eingefroren, teilen die Hausbanken der Märklin-Geschäftsführung mit. Die Kreditlinien über 50 Millionen Euro, die mit dem Januar ausliefen, würden nicht verlängert. Bleiben die Landesbank Baden-Württemberg und die Kreissparkasse Göppingen dabei, ist Märklin pleite. Und das, obwohl auf den Konten noch mehrere Millionen lagern und aus den Kreditlinien über 5 Millionen Euro noch gar nicht gezogen sind. Schon die Januargehälter kann die Firma nicht mehr zahlen.

Sofort beginnen die Verhandlungen. Freitag, Montag, Dienstag - die Vertreter von Kingsbridge und Goldman bitten um zehn Tage Aufschub. Am 13. Februar legen die Wirtschaftsprüfer von KPMG ein Sanierungsgutachten vor, das schon seit einiger Zeit beauftragt ist. Die Banker wollen jedoch sofort 5 Millionen Euro zusätzliches Kapital von den Investoren, bevor sie die Linien und Konten wieder freigeben. Das können und wollen diese nicht leisten. Sie sind durch ihre eigenen Regeln gebunden: Bevor es eine Kapitalspritze gibt, muss ein Gutachten vorliegen, das dem Unternehmen die Sanierungsfähigkeit bescheinigt.

Märklin beklagt sture Banken

Die Banken sind vorsichtig - draußen tobt die Finanzkrise, und offenbar schwindet ihr Vertrauen in die Investoren. Diese bieten immer neue Sicherheiten an: das Werk in Ungarn, Werkzeuge aus dem Göppinger Stammhaus. "Den Banken war nichts gut genug", sagt einer von der Märklin-Seite frustriert. "So eine sture Haltung habe ich noch nie gesehen."

Am Dienstagabend dann der niederschmetternde Bescheid: All die Sicherheiten reichen nicht. Am Mittwoch um 11 Uhr meldet die Firma Insolvenz vor dem Amtsgericht Göppingen an. Bei den Investoren ist nur noch Wut: "Das Verhalten der Banken ist völlig irrational", schimpft einer. "Sie wollten einfach nicht mehr."

Vertrauen in die Investoren verloren

Was hat die Banken geritten? Warum verweigern sie Märklin Hilfe? "Kein Kommentar", heißt es dazu bei den Banken. Insider berichten, dass die Institute das Vertrauen in die Investoren verloren hätten. Vor allem gegenüber Kingsbridge gibt es schwere Vorwürfe - in deren Zentrum Kingsbridge-Partner Mathias Hink steht, der auch an den Rettungsgesprächen teilgenommen hat. Tenor der Anschuldigungen: Kingsbridge habe Märklin ausgenommen. Der Investor bestreitet die Darstellung vehement.

Es seien, so der Vorwurf, bei der Sanierung der Firma "astronomische Honorare" geflossen, an Berater und Gutachter. Immer wieder habe Kingsbridge externe Berater engagiert, die zwischen sich und den Leuten bei Märklin eine "Betonwand" gezogen hätten. Da habe seit Jahren "kalter Hass" geherrscht. Und Kopfschütteln über sechsstellige Honorare - teilweise pro Woche. 2008 lag der außerordentliche Restrukturierungsaufwand bei 4 Millionen Euro, hinzu kamen 3,8 Millionen Euro für Rechts- und Beratungshonorare. Das sind riesige Summen für ein Unternehmen dieser Größe.

Nicht mehr an einem Strang gezogen

Offenbar haben Goldman und Kingsbridge zuletzt nicht mehr an einem Strang gezogen. Kingsbridge-Statthalter Hink soll etwa versucht haben, den Ex-Chef von Kunert - seiner anderen deutschen Beteiligung - als Sprecher der Geschäftsführung bei Märklin einzusetzen: einen Amerikaner, der kaum Deutsch spricht. Goldman habe das verhindert.

Wie es mit Märklin in der Insolvenz weitergeht, steht in den Sternen. Der Insolvenzverwalter Michael Pluta gilt nicht als Abwickler, sondern als einer, der Unternehmen fortführen will. Doch auch dafür braucht er die Hilfe der Banken. "Ob die kommt, da wäre ich nach dem Verhalten der Banken in den vergangenen Tagen sehr skeptisch", sagt ein Unternehmenskenner. Die Produktion der Modellbahnen in Deutschland sei nicht zu halten - nur der übrige Betrieb wäre überlebensfähig. In den nächsten Wochen wird sich entscheiden, ob von Märklin mehr als nur die Marke übrig bleibt.

"Mehr als ein Wirtschaftsbetrieb"

Noch wird in Göppingen gearbeitet. Das Fabrikgebäude in der Innenstadt könnte als Faller-Haus durchgehen und auf einer Modellbahnanlage stehen. Es liegt an der Hauptstraße, ist weiß und gelb angepinselt. Die Lastwageneinfahrt führt unter ein rostiges Schleppdach. Hinter den dicken Mauern summt und brummt es. Die Fenster im Erdgeschoss sind offen, geben den Blick frei in die Werkshallen. Ein roter Roboterarm greift sich Metallteile, die aus der Schmelze und Presse kommen und nun die Plattform für eine Lok bilden. Eine Frau im Arbeitsdress knipst vorstehende Haken ab, damit die Flächen auch schön glatt werden. Handarbeit ist noch immer wichtig bei Märklin.

Die Arbeiter tragen ihre Sorgen im Gesicht spazieren. "Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt", sagt Maria Babic. Noch vor einer Woche hat sich die 56-Jährige auf ihren Urlaub gefreut. Ägypten, für nächste Woche. "Wahrscheinlich storniere ich", sagt sie nun. Seit 29 Jahren arbeitet die Kroatin bei dem Modellbahnbauer. Praktisch alle Modelle habe sie mit produziert, sagt sie mit Stolz in der Stimme. "Märklin - das ist doch mehr als ein Wirtschaftsbetrieb."

FTD