Mit der Ankündigung von Jeff Bezos, den Chefposten bei Amazon zu räumen, endet eine Ära. Einer der erfolgreichsten Unternehmer unserer Zeit tritt einen Schritt zurück und überlässt das Tagesgeschäft ab Juli jemand anderem. Dieser Jemand ist Andy Jassy, 53 Jahre alt, und bislang in der breiten Öffentlichkeit kein besonders prominentes Gesicht.
Dabei ist der "Neue" ein ziemlich alter Haudegen im Amazon-Universum. Schon 1997 begann Jassy für den Onlinehändler als Marketingmanager zu arbeiten. Amazon war da gerade mal drei Jahre alt, ein Start-up, das Bücher über das Internet verkaufte.
Für den Posten als Lenker des Imperiums, das Amazon heute ist, qualifizierte sich Jassy aber mit dem Job, den er ab 2003 bei Amazon ausübte. Damals gründete er die Abteilung Web-Services des Konzerns, zum Start noch mit bescheidenen 57 Mitarbeitern. Über die Jahre formte Jassy die Cloud-Sparte zum größten Gewinnbringer des Konzerns.
Denn was viele nicht wissen: Amazon verkauft zwar alles Mögliche, am erfolgreichsten aber Speicherplatz im Internet. Rund ein Drittel des globalen Cloud-Geschäfts wird von Amazon beherrscht. Und das ist hochprofitabel. 2020 steuerte die von Jassy geführte Cloud-Tochter zwar nur ein Zehntel zum Umsatz des Konzerns bei, aber mit 13 Milliarden Dollar 60 Prozent des Gewinns. Bezos hat also seinen Goldjungen zum Chef gemacht.
Vom Schattenmann ins Rampenlicht
Geholfen haben dürfte Jassy auch, dass er schon Anfang der 2000er zwei Jahre als direkter Assistent Bezos diente. In der Rolle begleitete er Bezos bei fast allen Terminen, war ganz nah dran am Chefjob, weshalb die Position intern auch als "Schatten" bezeichnet wurde.
Nun übernimmt der einstige Schattenmann in erster Reihe Verantwortung. Jassy bringt einen Wirtschaftsabschluss aus Harvard mit und gilt intern als akribischer Arbeiter. "Andy ist nicht nur ein visionärer Anführer, sondern auch ein starker operativer Manager", beschrieb Amazon-Finanzchef Brian Olsavsky seinen neuen Boss bei der Vorstellung der Jahreszahlen. Trotz freundlichem Naturell ist er auch ein fordernder Chef, der von seinen Mitarbeitern Höchstleistung erwartet. "Er hat ein enormes Vertrauen in sein Team, aber man muss auf höchsten Niveau für jedes Treffen mit ihm bereit sein. Er ist ein Hai, der einen Blutstropfen aus 100 Meilen Entfernung riecht, wenn man nicht vorbereitet ist.“, sagte ein ehemaliger leitender Angestellter dem "Business Insider" über Jassy.
Politische Herausforderungen
Jassy übernimmt Amazon auf der Höhe seiner Macht, eine gut geölte Gelddruckmaschine, die ihre Marktmacht in der Corona-Pandemie nochmal deutlich ausweiten konnte. Die größten Herausforderungen sind politischer Natur. Denn der unheimliche Aufstieg Amazons ist sogar in den USA manchem Politiker zu viel. Ein Ausschuss des US-Kongresses kam im Oktober zu dem Schluss, dass Amazon wie auch Apple, Facebook und Google ihre Marktmacht missbrauchen und brachten gar die Zerschlagung "bestimmter dominierender Plattformen" ins Spiel. Auch in der EU droht das Kartellrecht.
Wie politisch der Job als Amazon-Chef ist, weiß Jassy auch. Donald Trump pflegte mit Jeff Bezos, dem auch die Trump-kritische "Washington Post" gehört, sogar eine persönliche Feindschaft. Auch deshalb, so vermutet man bei Amazon, erhielt nicht Jassys Cloud-Sparte, sondern Microsoft einen milliardenschweren Auftrag des Verteidigungsministeriums. Die Revanche folgte nach dem Kapitolsturm, als Amazon das unter radikalen Trump-Fans beliebte Netzwerk Parler von den Servern warf.
Die Rolle des Amazon-Chef-Diplomaten in der neuen Biden-Ära könnte sich Jassy mit Bezos teilen. Denn der Rückzug vom Posten des CEO bedeutet keineswegs, dass Bezos aus dem Amazon-Kosmos verschwindet. Bezos bleibt als Chairman, eine Art Aufsichtsratsvorsitzender, und größter Anteilseigner weiterhin der Übervater des Konzerns. "Ich habe viel Energie", schrieb Bezos bei seiner Ankündigung, "es geht mir nicht darum, in Rente zu gehen." Ganz verschwunden ist Bezos' Schatten auch für den CEO Jassy nicht.