Josef Zantis will sich gar nicht mehr beruhigen über die ostdeutschen Bau-Arbeitgeber. Sie seien zu keinerlei Lohnerhöhung bereit gewesen, auch nicht zu einer moderaten, schimpft der Mann aus Nordrhein-Westfalen. Zantis spricht nicht für die Gewerkschaft IG BAU, wie man annehmen könnte. Er ist Präsident der Wirtschaftsvereinigung Bauindustrie NRW und auf seine ostdeutschen Kollegen überhaupt nicht gut zu sprechen.
Ost-West-Konflikt im Baugewerbe
Wie die IG BAU gibt auch Zantis den ostdeutschen Bauarbeitgebern die Schuld für die drohenden ersten flächendeckenden Streiks am Bau. Das sieht man in Sachsen natürlich anders. Der Präsident des dortigen Bauindustrieverbandes, Gerd Endres, sagt, man habe sich »extrem weit bewegt«. Im Übrigen entsprächen die Vorwürfe nicht dem in der Ost-West-Kommission vereinbarten Sprachgebrauch.
Im Arbeitgeberlager macht sich der bisher unterdrückte Ärger über die seit Jahren wieder erste gemeinsame Ost-West-Tarifrunde Luft. Mancher West-Unternehmer- und Verbandslobbyist sagt - noch hinter vorgehaltener Hand - man hätte wie früher getrennt verhandeln sollen. Was bedeutet hätte, dass niedrigere Ost-Tarife und -Mindestlöhne samt Nullrunden mühsam im Nachklapp nach West-Runden vereinbart würden.
Wie in keiner anderen Branche prallen am Bau die Ost-West-Tarifprobleme aufeinander. Und in keiner anderen größeren Branche steht es um den viel gepriesenen Flächentarif so schlecht wie auf ostdeutschen Baustellen. Schließlich kriselt es am Bau seit Jahren, insbesondere in den neuen Ländern. Kein Wunder, dass es vor allem in der Frage des Mindestlohns im Osten hoch her geht. Das Problem ist, dass viele kleinere Baufirmen dort in doppelter Konkurrenz stehen.
Da gibt es zum einen die vielen Firmen, die überhaupt nicht tarifgebunden sind. Deren Zahl ist im Osten weit höher als in den alten Ländern. Eine Tarifbindung von angeblich 30 Prozent der knapp 22.000 Ost-Baufirmen ist eher zu hoch angesetzt. Gegen nicht tarifgebundene Firmen wollen sich die Arbeitgeber mit niedrigen Löhnen wehren und setzen dabei beim Mindestlohn von derzeit 8,63 Euro an. Denn der Mindestlohn, der auf Ost-Baustellen längst die Regel und auf West-Baustellen ein Druckmittel im Wettbewerb ist, muss auch von nicht tarifgebundenen Firmen gezahlt werden.
Branchenfremde Betriebe arbeiten ohne Bau-Mindestlöhne
Zu schaffen machen Ost-Baufirmen zudem branchenfremde Unternehmen, die Leistungen des Baugewerbes anbieten. Der Garten- und Landschaftsbau etwa, der Wege pflastert. Oder Malerbetriebe, die auch Putzarbeiten übernehmen. Dort müssen die Bau-Mindestlöhne nicht gezahlt werden. Auch finanzschwache Kommunen greifen gern auf solche Billiganbieter zurück. Die Gewerkschaft könnte zwar auch mit solchen Branchen entsprechende Mindestlöhne vereinbaren. Das aber ist schwierig, da der Organisationsgrad dort noch niedriger ist.
Die Atmosphäre im Arbeitgeberlager, das nicht nur in ein Ost-West-Lager gespalten ist, sondern auch noch die Interessen der Großen (Bauindustrieverband) und der Kleinen (Baugewerbeverband) vereinen muss, war schon vor den Tarifverhandlungen angespannt. Denn die Löhne in den neuen Ländern liegen teils bis zu 30 Prozent unter Westniveau, was ostdeutsche Baufirmen bei Ausschreibungen im Westen nutzen. Der Vertreter des sächsischen Baugewerbes, Knut Nitzsche, soll das auch klar gesagt haben. Er habe bei West-Projekten mit Ost-Mindestlöhnen kalkuliert. Wenn die steigen, sei alles hinfällig, wird er zitiert.
Hält die Tarifflucht an, steuert der Bau in Ostdeutschland als erste große Branche auf einen tariflosen Zustand zu. Die Folge wird sein, dass die Firmen im Westen versuchen werden, die Baustellen vor der Billigkonkurrenz aus dem Osten abzuschotten. Das dürfte dann emotionaler zugehen, als bei sonstigen Ost-West-Reibereien. Schon vor dem Aus der Tarifverhandlungen hatte ein Teilnehmer prophezeit: »Bei einem Scheitern gibt es einen Ost-West-Krieg am Bau.«
André Stahl