Verkehr Ab sofort fährt größeres Haftungsrisiko mit

Durch das neue Schadenersatzrecht werden schwächere Verkehrsteilnehmer stark gemacht. Nun sind besonders Kinder, Senioren und Behinderte begünstigt.

Autofahrer in Deutschland sollten ab sofort noch aufmerksamer hinter dem Steuer sitzen als bisher. Ihr Haftungsrisiko im Straßenverkehr ist mächtig angestiegen. Seit 1. August gelten andere Regeln beim Schadenersatz. Und diese begünstigen bei einem Zusammenstoß die schwächeren, unmotorisierten Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer, Inlineskater oder Fußgänger.

Risiko Mehr-Haftung

»Autofahrer müssen zwar nicht fürchten, für jeden Trottel auf der Straße zu zahlen«, meint ADAC-Jurist Stefan Steinle. Das Gespenst der Mehr-Haftung wird jedoch so manchem ziemlich im Nacken sitzen. Ein Beispiel: Schießt ein Radler falsch herum aus der Einbahnstraße heraus vors Auto, ist ein Crash meist unvermeidlich. Bislang konnte sich der betroffene Autofahrer auf ein »unabwendbares Ereignis« berufen und dies zu seiner Entlastung anführen.

Nur Verkehrswidrigkeit 'hilft'

Nach neuem Recht geht das nicht mehr. Da steckt der Kfz-Halter grundsätzlich in der Haftung. Deren Höhe hängt dann davon ab, inwieweit der Radfahrer den Unfall verschuldet hat, also beispielsweise verkehrswidrig fuhr.

Zahlen bei Schuldlosigkeit?

Ein anderes Beispiel: Kracht ein Radfahrer in ein Auto, das gerade an der Kreuzung hält, stürzt und verletzt sich dabei, muss der Halter ebenfalls mithaften. Auch wenn er sich ordnungsgemäß verhalten hat, müsste seine Kfz-Versicherung an den »schwächeren« Verkehrsteilnehmer zahlen. Allerdings bekommt der Radler keinen vollen Schadenersatz, weil er rechtzeitig hätte bremsen müssen, wie der ADAC das Fallbeispiel erläutert.

Autofahrer fast immer der 'Dumme'

Auch schnelle Skater oder Jogger sind jetzt kein »unabwendbares Ereignis« mehr für Kraftfahrer. Läuft ein gehbehinderter Senior, ein Rollschuhfahrer oder ein Jogger ins Auto, ist in jedem Fall auch der Autofahrer haftbar. Entlasten könnte ihn nur »höhere Gewalt« wie Blitz, Hagel, Sturm oder Erdbeben, wie der ADAC ausführt. Oder wieder die Klärung der Schuldfrage: Kann dem Jogger wegen einer roten Ampel das alleinige Verschulden am Unfall nachgewiesen werden, hat der Autofahrer die Schadenersatzforderung vom Hals.

Kinder bis zehn Jahre aus dem Schneider

Weiterhin aufpassen sollten Autofahrer auch auf Kinder im Straßenverkehr. Nach neuem Recht müssen die Kleinen erst ab dem zehnten Geburtstag haften, wenn sie einen Unfall verursacht haben. Bisher galt das Alter von sieben als Grenze. Kindern wird künftig selbst dann kein Mitverschulden angerechnet, wenn sie den Unfall fahrlässig herbeigeführt haben. Oder wenn der Autofahrer gar keine Chance hatte, den Schaden abzuwenden, wie Stiftung Warentest betont.

Kaum noch Haftungseinschränkung

Beispiel: Ein Neunjähriger läuft vors Auto, der Fahrer weicht aus und kracht in einen geparkten Wagen. Bisher musste das Kind respektive die Privathaftpflicht der Eltern für den Schaden gerade stehen. Jetzt hat der Autofahrer den schwarzen Peter: Er muss die Reparatur aus eigener Tasche bezahlen oder über seine Kaskoversicherung regulieren lassen. Die Dellen am fremden Auto übernimmt seine Kfz-Haftpflicht. Wird das Kind verletzt, hat es Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. Die Haftungseinschränkung für Kinder ist nur bei Vorsatz außer Kraft.

Jetzt folgt Praxistauglichkeit

Die ursprünglichen Entwürfe zum neuen Schadenrecht hätten den Autofahrern noch viel mehr Ungemach gebracht, erläutert ADAC-Jurist Steinle zum Trost. Auf Standardcrashs wie Auffahrunfälle wirkten sich die Änderungen beispielsweise gar nicht aus. »Und dann muss man abwarten wie die Gerichte die Neuerungen in der Praxis anwenden«, rät Steinle zur Gelassenheit.