Walter Deuss, 70, ist ein anspruchsvoller Mensch. Fast 20 Jahre lang, bis 2000, stand er an der Spitze des Karstadt-Konzerns. Ein Mann aus einer Bankiersfamilie, geprägt vom alten Stil der Industriebarone. Sein Fahrer hat sich während all der Dienstjahre nie beklagt, denn für seine uneingeschränkte Verfügbarkeit wurde er fürstlich entlohnt.
Allerdings nicht von Deuss, sondern von Karstadt. Im Jahr 2004 etwa überwies der Konzern dem Fahrer allein zum Ausgleich seiner Überstunden mehr als 30000 Euro. Dabei ist Deuss längst pensioniert. So viel Großzügigkeit wollte im vergangenen Jahr aber nicht mehr recht passen zu dem Warenhauskonzern, der ums Überleben kämpfte und massenhaft Leute entließ - und so stellte Karstadt die Überstundenzahlungen für den Fahrer ein; im Herbst wurde Christof R. gekündigt. Deuss bekam vom Unternehmen einen anderen Chauffeur, doch der muss seine Überstunden nun abbummeln.
Unzumutbar, befand Edelrentner Deuss - und beschert seinem alten Unternehmen jetzt einen bizarren Rechtsstreit. Am Freitag dieser Woche wird vor dem Landgericht in Essen seine Klage gegen die Karstadt-Quelle AG "wegen Dienstwagennutzung mit Fahrer" verhandelt. Nebenbei erhält die Öffentlichkeit Einblicke in die glänzend ausgekleidete Welt ehemaliger Unternehmensführer. Neben Deuss klagen vier weitere pensionierte Konzernvorstände. Sie verlangen ihre Firmenwagen zurück, die sie abgeben mussten, nachdem der neue Karstadt-Personalvorstand Matthias Bellmann den Nobelpensionären im vergangenen Jahr die Privilegien gekündigt hatte.
Deuss hat es also besser
als seine Ex-Kollegen. Denn niemand bei Karstadt macht dem 70-Jährigen die Limousine, aktuell einen BMW 745 iL, samt Fahrdienst streitig. Es geht lediglich um die Überstunden des Chauffeurs.
Man muss kein Jurist sein, um nach Lektüre der fünfseitigen Klageschrift abschätzen zu können, dass Deuss juristisch wahrscheinlich im Recht ist. Und man muss keine Karstadt-Verkäuferin sein, die seit Monaten um ihren Job zittert, um nachzufühlen, dass im Fall Deuss einiges aus dem Gefüge geraten ist. Nach Branchenschätzungen erhält der Ex-Chef über 20 000 Euro Pension - im Monat. Warum lässt er sich in einer Zeit, in der sich viele bescheiden müssen, die weit weniger haben als er, auf einen Rechtsstreit ein, den er - zumindest moralisch - nur verlieren kann? Warum zahlt er die Überstunden seines Fahrers (Streitwert vorläufig: 15 000 Euro) nicht einfach selbst? Sein Anwalt Wilhelm Moll, ein Arbeitsrechtler aus Köln, lehnt "Spekulationen" zu Klagemotiven ab. Moll ist ein besonnener Mann, aber er hat einen Fall, und den will er gewinnen. Deuss war für eine Anfrage des stern nicht zu erreichen.
Durch die Sturheit des alten Bosses erfährt die staunende Öffentlichkeit, was so alles Usus ist, wenn Vorstände abtreten. Im Fall Deuss etwa regelt ein Auflösungsvertrag vom 4. Januar 2001 in "Klausel C", dass er Anspruch auf einen Firmenwagen samt Fahrer bis zu seinem Lebensende hat, "wie Ihnen dies bisher zur Verfügung stand". Heißt: rund um die Uhr, dienstlich wie privat, beim Empfang, beim Shopping und auf der Jagd.
In einem ersten Vertragsentwurf sollte es noch heißen, dass Deuss in Sachen Firmenwagen die gleichen Rechte erhalte wie seine Nachfolger an der Konzernspitze. Doch - Holzauge, sei wachsam - der Alte erkannte damals sofort, was das bedeutet: Wenn die Spitze in Zukunft spart, müsste auch er kürzer treten. Deuss drängte auf eine Garantie des Status quo - und bekam sie. Sollen andere sehen, wie sie den Konzern wieder flott kriegen. Deuss ging auch in anderer Angelegenheit auf Nummer sicher: bei seiner Pension. Die Zahlungen ließ er sich von Karstadt gegen den Konkurs des Konzerns versichern, wie sein Anwalt bestätigt. Die versicherte Summe beträgt bis zu fünf Millionen Euro.
Angesichts eines derart ausgeprägten Sensors für künftige Entwicklungen fragt sich heute mancher bei Karstadt, welchen Weg das Unternehmen wohl genommen hätte, wenn Deuss seinen feinen Riecher einst auch in anderen Fällen ein bisschen häufiger eingesetzt hätte - zum Beispiel zum Wohle des Konzerns.
Richard Rickelmann/ Johannes Röhrig