Meinung Der Karstadt-Kanzler

Friedrich Merz während einer Pressekonferenz im Bundeskanzleramt in Berlin im Sommer 2025
Bundeskanzler Friedrich Merz: Wo, bitte, geht es aus der Krise?
© Amrei Schulz / Imago Images
Ein Jahr nach dem Ampel-Aus wirkt Schwarz-Rot wie ein marodes Kaufhaus: schlecht gemanagt, ohne Leitidee, von der Pleite bedroht. Das liegt auch am Kanzler.

Kleiner Tipp für den Fall, dass Sie von Politik noch nicht genug haben: Dieser Tage noch einmal die Parlamentsprotokolle aus der vergangenen Legislaturperiode zur Hand nehmen, um nachzulesen, wie Friedrich Merz seinerzeit die Amtsgeschäfte von Olaf Scholz rezensierte. Es ist ein amüsantes Unterfangen. 

"Zum Fremdschämen" sei der Kanzler, schimpfte der CDU-Chef. Ein "Klempner der Macht", ohne Idee und Entschlossenheit. "Sie können es nicht!", so das Urteil des damaligen Oppositionsführers über Scholz vor ziemlich genau zwei Jahren. Wann immer Merz sich den Kanzler vorknöpfte, war die Botschaft dieselbe: Machen Sie Platz, lassen Sie mich ran. Dann geht's auch wieder aufwärts.

Nun ja.

Ein halbes Jahr nach Amtsantritt kann Merz froh sein, dass die Sozialdemokraten mit drin hängen, sonst würden sie ihm die Sätze von damals wohl genüsslich unter die Nase reiben. Natürlich sind die Umstände schwierig. Die Wirtschaft macht nicht auf Knopfdruck einen Hüpfer, und dass Trump die heimische Industrie mit seinen Zöllen bedroht, dafür kann Merz nichts. Aber er kann jetzt schwer anderen die Schuld geben, wo er doch glaubte, im Stile eines CEO die Deutschland AG im Alleingang reaktivieren zu können – und die politische Mitte gleich mit. 

Schwarz-Rot wirkt wie das Karstadt der Politik

Schwarz-Rot muss aufpassen, nicht zum Karstadt der Politik zu werden: miserabel gemanagt, ohne Leitidee, am Ende pleite. Zentrale Projekte wie die Bürgergeldreform oder der Wehrdienst stecken seit Monaten fest zwischen Streit und Vermittlung. Statt sämtliche Kapazitäten zu bündeln, um die Wirtschaft zu stabilisieren, verzettelt sich Merz in Stadtbild-Debatten. Während Jobs zehntausendfach verschwinden, zerlegen sich die eigenen Leute darüber, ob Damaskus jetzt Dresden 1945 ähnelt oder doch einer Wellness-Oase gleicht, in die man endlich wieder im großen Stil abschieben kann.

Ach ja, und die AfD: Statt den Extremisten politisch das Wasser abzugraben, beruft Merz ohne Not eine Klausur ein zum strategischen Umgang mit der Höcke-Partei, um hernach zu erklären, man wolle am eigenen Kurs "gar nichts" ändern. Wie bitte?

Merz, der so leidenschaftlich über Scholz herzog, scheint sich von seinem Vorgänger bevorzugt das Schlechte abgeschaut zu haben. Vor allem eins: den Menschen das Blaue vom Himmel zu versprechen. Scholz schwärmte von einem grünen Wirtschaftswunder, das in seiner Amtszeit entstehen sollte, von einem sozialdemokratischen Jahrzehnt. Es kam dann doch ein wenig anders. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Merz versprach in seinen ersten Tagen, die Stimmung im Land bis zum Sommer zu wenden, danach die Sozialsysteme zu entrümpeln, den Staatsapparat zu verschlanken und Deutschland zum Anti-Bürokratie-Weltmeister zu machen. Derweil sind die Bürger pessimistisch wie selten, sie trauen dieser neuen Regierung so wenig zu wie der alten. Reformen sind nicht absehbar, der Rückbau von Regeln und Verordnungen gestaltet sich schwieriger als gedacht. Schwieriger jedenfalls, als im Kanzleramt mal eben 13 neue Stellen zu schaffen, um die Außen- und Sicherheitspolitik zu koordinieren.

Merz macht es der AfD zu leicht

Wie bei Scholz fallen bei Merz Dichtung und Wahrheit in fast grotesker Weise auseinander. Das mag in den 80er und 90er Jahren weniger problematisch gewesen sein, weil die Konkurrenz überschaubar war. Wer aber heute Erwartungen weckt, die er völlig verfehlt, handelt selbstzerstörerisch. Leichter können sich Extremisten nicht als logische Alternative inszenieren.

Nein, für einen Nachruf auf diese neue Regierung ist es noch zu früh, man sollte auch ihren Untergang nicht leichtfertig herbeischreiben, nicht nach gerade mal sechs Monaten im Amt. Aber es ist Zeit für einen schrillen Weckruf: So schlecht wie Schwarz-Rot gestartet ist, war nicht einmal die Ampel. Kann sich die Koalition davon erholen? Natürlich. Nur muss sie dafür schleunigst ihren Groove finden. Wenn die Ampel eines lehrt, dann das: Regierungen können zerbrechen – selbst wenn alle Beteiligten wissen, dass davon nur die Ränder profitieren.

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