Kriminalpsychologin Claudia Brockmann So war es, mit Deutschlands berühmtestem Erpresser "Dagobert" zu verhandeln

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Claudia Brockmann
Die Psychologin kannte den Täter nicht. Aber er kannte sie und ihr Team auch nicht. Das Spiel konnte beginnen
© Hahn + Hartung
Am Anfang stand eine Bombe. Es folgte ein Machtkampf, wie ihn die deutsche Polizei noch nicht gesehen hatte. Ein Gespräch mit der Kriminalpsychologin Claudia Brockmann über den Fall Dagobert und die Kunst der Verhandlungsführung

Dieses Interview stammt aus dem Archiv und erschien zuerst in stern Crime 22/2018. 30 Jahre ist es nun her, dass Erpresser "Dagobert" am 22. April 1994 gefasst wurde. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir das Gespräch mit Kriminalpsychologin Claudia Brockmann an dieser Stelle erneut. 

13. Juni 1992. Hamburg, Karstadt Mönckebergstraße. In der Porzellanabteilung explodieren nachts um ein Uhr drei Rohr­bomben. Zwei Tage darauf erhält das Unternehmen einen Bekennerbrief. Der anonyme Absender fordert „1 Million DM“. Er schreibt: „Diesesmal es war nur ein besserer Knallfrosch. Nächstesmal wird es zurKatastrophe kommen.“ (Die Zitate aus den Briefen sind in unkorrigierter Originalversion.)

Im nächsten Brief folgen der Bauplan einer Bombe und eine Sprengstoffprobe. Der Konzern solle per Anzeige im „Hamburger Abendblatt“ seine Zahlungsbereitschaft signalisieren: „Dagobert grüßt seine Neffen.“ Die Annonce erscheint. Es folgt wieder ein Brief. Der Erpresser werde sich telefonisch melden und die Lücken in folgender Anweisung füllen: „Sie fahren am 15. Juli auf der Bundesstraße Nr.____ ca. zum Kilometerstein____nahe.____.“

Am 14. Juli um 16.09 Uhr klingelt in der Karstadt-Geschäftsstelle das Telefon. Eine Computerstimme gibt durch: „105“, „84“ und „Bad Doberan“.

Frau Brockmann, schon der Start dieser Erpressung klingt sehr speziell. War das damals auch Ihr erster Eindruck?
Die Vorgehensweise war außergewöhnlich. Wobei es damals bei Erpressungen immer mal wieder Schnitzeljagden gab, auch mit exotischen Kommunikationswegen. Wir hatten lange mit „Herbert dem Säger“ zu tun gehabt. Der durchtrennte Bahnschienen und drohte, Züge entgleisen zu lassen, wenn er nicht zwei Millionen Mark bekommt. Er kommunizierte nur über Telefonklingelzeichen.

Das hätte auch jetzt Ihr Täter sein können.
Nein. Wir gingen davon aus, dass „Herbert der Säger“ sich das Leben genommen hatte.

Also ein anderer. Wie näherten Sie sich ihm an?
Das Erste ist die Risikoeinschätzung. Die war eindeutig. Dass jemand gleich mit einer Bombe einsteigt, ist ein deutliches Signal. Aufgrund des Poststempels war außerdem klar, dass er den Brief bereits vor der Explosion abgeschickt haben musste. Er bekennt sich also zu etwas, das er noch gar nicht erfolgreich umgesetzt hat. Das zeigte uns, wie überzeugt er von seinen technischen Fähigkeiten ist.

Und wie stellte sich die Polizei nun auf?
In einer solch komplexen Lage richtet man eine „Besondere Aufbau Organisation“ ein. Dazu gehören ein Führungsstab und Fachberater wie ich als Kriminalpsychologin. Auch operative Einheiten wie das Mobile Einsatzkommando, das MEK, werden sofort in Bereitschaft versetzt. Wir müssen ja damit rechnen, dass schnell eine Geldübergabe gefordert wird. Damals, als es noch keine digitalen Währungen wie Bitcoins gab, war die Übergabe das Nadelöhr, durch das der Erpresser musste. Sie war unsere beste Chance.

Erschienen in stern Crime 22/2018