Crime Story Treibgut

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  • von Antonia Schaefer
Ein Schmuggler verliert Hunderte Kilogramm Kokain ... und eine Insel dreht durch
Ein Segelboot von oben, montiert auf Kokainpulver
© Montage: stern Crime / Getty Images

Es war der 69. Tag seiner Reise, und Antonino Quinci hatte ein Problem. 69 Tage lang hatte ihn die „Mario“, eine 14 Meter lange Yacht, sicher über den Atlantik getragen. Von Venezuela, wo er ausgelaufen war, bis zu den Balearen im Mittelmeer wollte er segeln; dort sollte er seine Fracht abliefern. Doch dann wurde die „Mario“ von einem schweren Sturm erfasst. Das Ruder war hinüber, es musste gebrochen sein.

Antonio Quinci
Ein erfahrener Seemann: Antonino Quinci

Quinci, ein 44 Jahre alter Sizilianer, war ein erfahrener Seemann. Aber mitten auf dem Meer, ohne funktionierendes Ruder, nützt einem selbst die Erfahrung nicht viel. Es waren noch mehr als 2500 Kilometer bis zu den Balearen.

Was sollte er nur tun?

Es war der 6. Juni 2001. Die „Mario“ trieb über den Atlantik. Zum Glück war nicht weit entfernt Land zu sehen, grün bewachsene Hügel, steile Klippen. Das musste São Miguel sein, die größte Insel der Azoren. Quinci hatte keine Wahl. Er würde es drauf ankommen lassen: die Yacht irgendwie Richtung Insel manövrieren, dort einen Hafen anlaufen und das Ruder reparieren.

Doch es gab etwas, das er zuvor unbedingt noch erledigen musste.

*

Der neue Tag war gerade erst angebrochen. Doch der Lehrer Francisco Negalha war auch an diesem Morgen im Sommer des Jahres 2001 schon wach. Gemeinsam mit seinem zweijährigen Sohn war er hinunter zum Wasser gegangen, an die Praia do Pópulo im Süden von São Miguel. Negalha liebt die Strände seiner Heimatinsel mit ihren schwarzen vulkanischen Felsen und den hohen Atlantikwellen, die an der Küste zu zerbersten scheinen. Er ließ seinen Blick über die Weite wandern, Meer und Sand und keine Menschen, bis auf seinen Sohn und ihn. Da entdeckte er das graue Paket aus Plastik.

Negalha lief zu dem Felsen, an dem das Paket lag, und ärgerte sich über diese verdammten Umweltverschmutzer, die achtlos ihren Müll am Strand liegen ließen, als er eine Öffnung im Paket erkannte. Einen Riss, aus dem, leuchtend im Kontrast zum dunklen Stein, ein weißes Pulver quoll.

In dem Moment habe er die Lichter der Taschenlampen oben am Parkplatz bemerkt, sagt Negalha heute. „Ich wusste, ich werde beobachtet.“

Inzwischen ist Francisco Negalha 62 Jahre alt, ein Mann mit ordentlichem Kurzhaarschnitt und ernstem Blick. An einem warmen Septembertag sitzt er an der Praia do Pópulo auf den schwarzen Felsen am Wasser. Ins Café, das die Bucht überblickt, wollte er nicht. Man wisse nie, wer zuhöre, sagt Negalha. Auch so viele Jahre später fühle er sich noch unwohl, in der Öffentlichkeit über das zu sprechen, was damals überall angeschwemmt wurde, was Menschen auf der ganzen Insel fieberhaft suchten.

Als er die Lichter der Taschenlampen sah, nahm Negalha sofort seinen Sohn an die Hand und rief von der nächsten Telefonzelle die Polizei an. Er meldete, was er gefunden hatte. Wie sich später herausstellte, waren es 15 Kilogramm reinsten Kokains.

Erschienen in stern Crime 52/2023