Editorial An die Wand gefahren

Liebe stern-Leser!

Der brutale Stellen-Kahlschlag bei der Traditionsmarke Opel entlarvt die Folgen der Globalisierung und die Tatsache, dass manche amerikanische Unternehmenslenker weit weg sind von der deutschen Arbeitskultur. Fünf Vorstandsvorsitzende innerhalb von sechs Jahren schickten die amerikanischen Anteilseigner nach Rüsselsheim, und dennoch behielt Opel die rote Laterne. Angesichts der Verluste wurde gegeizt statt investiert. Der Vorstand ließ rollende Sparschweine bauen, die mit eingebauten Qualitätsmängeln vom Band kamen. Lieber dicht dran an Detroit als am Kunden, hieß offensichtlich das Karriere-Motto an der Unternehmensspitze. Sparen wollten auch die Autofahrer, beispielsweise mit leistungsstarken, aber verbrauchsarmen Dieselmotoren. Doch Management by Rotstift beherrschte Rüsselsheim. Und so rasten die Trends an Opel vorbei.

Jetzt, da die Marke nach drei Jahren Rosskur unter Vorstandschef Carl-Peter Forster, inzwischen Vize im europäischen General-Motors-Management, optisch und technisch manchen Konkurrenten wieder davonfährt, machen schlappe Nachfrage und damit Kostendruck alle Hoffnungen zunichte. Zu spät hatte man die richtigen Knöpfe gedrückt. Deshalb eignet sich Opel nur bedingt als Beispiel für die Lohnkosten-Diskussion.

Rechnet man jedoch die Management-Fehler ab, bleibt immer noch der deutsche Standort-Nachteil. Während wir es uns mit der 35-Stunden-Woche gemütlich machten, zogen unsere Nachbarländer davon. Renovierten ihre Sozialsysteme, so- dass nicht mehr nur die Arbeitnehmer die Soziallast wuppen mussten, sondern die Steuersysteme, in die alle einzahlen. Mittlerweile können wir in manchen Branchen nicht einmal mehr dem westeuropäischen Wettbewerb standhalten. Auch Deutschland wird daher nicht umhinkommen, in den nächsten Jahren die Mehrwertsteuer zu erhöhen - in Schweden liegt die bei 25 Prozent - um mehr über Steuern und weniger über Arbeitgeberbeiträge einzusammeln. Die Herstellungskosten müssen sinken! Mit deutscher Produktionsqualität lässt sich der Lohnkostenvorteil unserer Nachbarländer nicht mehr auskontern. Die ist anderswo längst ebenbürtig.

Da wir das Rad

der Globalisierung nicht zurückdrehen können, sollten Arbeitnehmervertreter, Arbeitgeber und Politiker den Standort Deutschland und seine Arbeitskosten zum zentralen Debattenthema machen. Und so, wie es bei Karstadt geschah und bei VW bevorsteht, miteinander für mehr Produktivität sorgen. Viele Unternehmen wie Siemens oder die Mercedes Car Group haben ihre Hausaufgaben schon angepackt - nicht ganz geräuschlos, aber am Ende ruderten Management und Belegschaft in dieselbe Richtung. Daher wäre es völlig falsch, in diesen Zeiten die Mitbestimmung zu schleifen, wie es BDI-Chef Rogowski vergangene Woche in einem stern-Gespräch tat (stern Nr. 43/2004). Selbst Daimler-Chrysler-Chef Jürgen Schrempp, der innerhalb von zwei Jahren 26000 Autobauer in Amerika entließ, spricht sich für dieses Modell aus. In einem stern-Interview (Seite 200), in dem er sich zum Fall Opel nicht äußern wollte, lobte der umstrittene Manager die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat von Daimler-Chrysler. Und den Kanzler! "Was der macht ... finde ich gut."

Da ist Schrempp nicht allein. Beim Wahlvolk erntet Schröder zurzeit steigende Umfragewerte, was auf Zweierlei zurückzuführen ist: Angela Merkel erlebt gerade eine politische Apokalypse - die SPD kann ihr Glück darüber gar nicht fassen (Seite 48). Und als eiserner Reformkanzler steht er nach dem implodierten Hartz-Protest nicht schlecht da (Seite 44). Noch zu zaghaft setzt er Reformen um, aber beständig. Es gibt keinen anderen Weg, um das deutsche Umverteilungs- und Demografie-Dilemma zu lösen.

stern-Autor Arno Luik dagegen hält die Politik der SPD-Spitze keineswegs für alternativlos und hat sich seinen Zorn von der Seele geschrieben: "Nicht der Sozialstaat ist zu teuer, nein. Zu teuer ist die herrschende Finanzpolitik, die diesen Staat ruiniert." Sein Essay (Seite 64) wird viel Zustimmung, aber vermutlich noch mehr Widerspruch auslösen. Das ist uns recht. Polarisieren stand schon immer auf der Visitenkarte des stern.

Herzlichst Ihr
Andreas Petzold

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