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Die Feindschaft zwischen George W. Bush und Saddam Hussein kann man durchaus persönlich nennen. Der Diktator galt als das personifizierte Böse, als die hässliche Fratze des Terrorismus. Es war daher politisch überlebenswichtig für den US-Präsidenten, dass er als Sieger auch einen Besiegten vorweisen kann und nicht nur ein besetztes Land, dessen Armee sich selbst aufgelöst hat. Die Trophäe Saddam besitzt gewaltige Symbolkraft für das amerikanische Selbstbewusstsein.
Darüber sollte aber niemand die Opfer des Krieges vergessen. Auch Saddams Festnahme rechtfertigt den völkerrechtswidrigen Feldzug nicht. Hat sich doch gelohnt, könnte man nun ausrufen. Doch Anlass dieses Krieges war nicht die Tatsache, dass der Diktator jahrzehntelang morden und foltern ließ. Die Existenz von Massenvernichtungswaffen - der eigentliche Kriegsgrund - ist bis heute eine unbewiesene Behauptung.
Trotzdem muss Amerika zu Ende führen, was es begonnen hat. Und wenn es an Euphrat und Tigris irgendwann eine Chance auf Frieden geben sollte, dann nur mit dem Tyrannen hinter Gittern. Vorerst jedoch geht der Terror weiter. Auch wenn der naive Glaube vieler Untergrundkämpfer, sie könnten ihren verehrten Führer wieder in seine Paläste zurückbomben, nun zerstoben ist. Der Mythos Saddam verflüchtigte sich mit den demütigenden Bildern seiner medizinischen Untersuchung. Die arabische Welt sah keinen Märtyrertod, der Saddam unsterblich gemacht hätte. Nur einen wirren, uneinsichtigen Gefangenen, der sich seinem Schicksal ergibt. Vielleicht können nun auch die Opfer seines grausamen Regimes in einem öffentlichen Prozess eine späte Wiedergutmachung erfahren. Vielleicht werden dann die Gräueltaten von Saddams Spitzeln, Henkern und Folterknechten allen Irakis vor Augen führen, wer sie da über Jahrzehnte unterjochte. Saddam Hussein muss sich vor einem irakischen Tribunal verantworten, vor Vertretern seines Volkes. Dies wäre ein erster, kleiner Schritt zur Souveränität des Landes.
stern-Reporter Christoph Reuter, seit Monaten in Bagdad, und Fotograf Geert van Kesteren berichten über die Festnahme und die Folgen. Aufschlussreich sind dabei auch Reuters Recherchen über die letzten Tage des Diktators vor Kriegsausbruch. Sie zeigen, dass Saddam Hussein unter Realitätsverlust litt. Darüber sind die meisten Despoten der Geschichte gefallen.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold