Editorial Die abgewirtschaftete Supermacht

Liebe stern-Leser!

Am 20. Januar 2009 wird der nächste US-Präsident sein Amt antreten. Spätestens wenn er am Schreibtisch im Oval Office Platz genommen hat, wird ihm klar sein, dass dies nicht mehr das Arbeitszimmer des mächtigsten Mannes der Welt ist. Sondern die Amtsstube eines Insolvenzverwalters! Sein Vorgänger George W. Bush hat die Marke Amerika an den Rand des Bankrotts geführt. Ökonomisch, moralisch und politisch. Die Mehrheit der US-Bürger scheint das ähnlich zu beurteilen. Die Zustimmung für Bush liegt bei mageren 24 Prozent, ein historisches Tief für einen scheidenden Präsidenten. Demokrat Bill Clinton schaffte annähernd 70 Prozent, als er an Bush übergab. Es wird viele Jahre dauern, um die Hinterlassenschaft des Texaners beiseitezuräumen. Man muss es sich vielleicht so vorstellen, als hätte ein Verrückter das wertvolle Porträtgemälde von George Washington mit einem Säureattentat fast unwiederbringlich zerstört. Und nun beginnt eine mühselige Restaurationsphase, denn die Schäden sind gewaltig.

Der ganze Unrat wuchs auf dem Boden einer Ideologie, die einem blinden Glauben folgte: an Gott und dass jeder Einzelne für sein Schicksal verantwortlich ist. "In allem, was wir tun, müssen wir der Fähigkeit freier Menschen vertrauen, die richtigen Entscheidungen zu treffen", predigte Bush. Das führte zunächst dazu, dass lebenswichtige Aufgaben des Gemeinwesens vernachlässigt wurden: Gesundheit, Bildung, Umweltschutz, Infrastruktur - wir erinnern uns an die gigantischen Stromausfälle und eingestürzten Autobahnbrücken. Armutsbekämpfung? Keine Spur - während der Bush-Ära nahm die Zahl der Armen um 5,7 Millionen zu. Staatliche Regie passte nicht in die Ideologie der Zügellosigkeit. Nicht, dass es an Geld fehlte. Bush war mit einem Haushaltsüberschuss gestartet und geht nun mit einem Defizit von unglaublichen 455 Milliarden Dollar in Rente. So tief war das amerikanische Schuldenloch noch nie. Steuergeschenke an die Bestverdiener, Kriege in Irak und Afghanistan, die annähernd zwei Billionen Dollar gekostet haben - bis jetzt! Jeden Monat versickern im Irak zehn Milliarden Dollar. Und die Rechnung wird immer länger. Amerika steht da wie ein Schwellenland: unfassbare Schulden und eine schwache Währung. Bush warf Geld aus dem Fenster, das er nicht hatte. Und die Bürger machten es genauso. Als Folge der Politik des billigen Geldes gab es Einkaufsorgien in Amerika, Hypotheken ohne Bonitätsprüfung und Kreditkartenschulden von insgesamt 950 Milliarden Dollar. Die Main Street, Inbegriff des Durchschnitts-Amerikas, wurde mit Geld geflutet. Das bittere Ende besichtigen wir gerade live: neun teilverstaatlichte Geldinstitute. Investmentbanken, früher goldene Türme der Weltwirtschaft, existieren nicht mehr. Künftig werden die ersten Geldadressen möglicherweise in Tokio, Singapur, Peking und Hongkong zu finden sein.

Bush musste auch lernen, dass Demokratie kein Exportgut ist wie ein Flachbildschirm. Immerhin war das eine der Begründungen für den Irak-Krieg. Die andere, Massenvernichtungswaffen, war genauso falsch. Und ein Staat, der foltern lässt, die Bürgerrechte zertrampelt und Gefangene ohne Prozess jahrelang festhält, dem zollt keiner mehr Respekt. Er verwischt den Unterschied zu denjenigen, die er bekämpft. Was steht noch in der Bilanz? Die Vereinten Nationen belogen, weit über 4000 tote amerikanische Soldaten und Zehntausende Zivilisten, die Presse gegängelt und desinformiert, internationales Recht gebrochen. George W. Bush hat sein Land zur Zielscheibe gemacht. Das hat Amerika nicht verdient. Gut, dass der Spuk bald vorbei ist.

Herzlichst Ihr
Andreas Petzold

print