30 Jahre ist es her, dass die Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) den Staat herausgefordert haben. Bis heute steht das Jahr 1977 für die größte Bewährungsprobe der westdeutschen Nachkriegsrepublik: Generalbundesanwalt Siegfried Buback wurde auf dem Weg zur Arbeit erschossen, Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto in seinem Haus getötet, Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer nach sechs Wochen in der Hand der Terroristen ermordet. In Mogadischu stürmte die Elitetruppe GSG 9 ein entführtes Flugzeug der Lufthansa mit 86 Geiseln an Bord. Bis heute bewegen uns diese Ereignisse stärker als alle anderen Krisen und Dramen in den frühen Jahren der Bundesrepublik - das zeigt nicht zuletzt die heftige Debatte um die Freilassung der inhaftierten Täter von damals: Brigitte Mohnhaupt, die die Mordkampagne der RAF steuerte, wird kommende Woche nach fast einem Vierteljahrhundert aus dem Gefängnis entlassen. Christian Klar, dem der Mord an Buback zugerechnet wird, hofft auf Begnadigung durch den Bundespräsidenten und schreibt zugleich Pamphlete im alten Duktus der RAF. Er unterliegt wohl immer noch der alten Selbsttäuschung jener "politischen Kämpfer", die sich selbst die Lizenz zum Töten ausstellten, um den "faschistischen Staat" in die Knie zu zwingen.
Der Umgang mit RAF und Terror bleibt kontrovers, emotional und hochpolitisch. Doch die Hintergründe und Zusammenhänge des Konflikts sind gerade vielen Jüngeren nicht bewusst.
Die stern-Reporter Martin Knobbe und Stefan Schmitz - der eine Historiker, der andere Politologe - haben sich über Monate mit dem "Terrorjahr 1977" beschäftigt. Ihre sechsteilige Serie beginnt in diesem Heft. Sie sprachen mit Dutzenden Zeitzeugen. Mit ehemaligen Terroristen wie Karl-Heinz Dellwo, Klaus Jünschke oder Peter-Jürgen Boock ebenso wie mit Politikern wie dem damaligen Justizminister Hans-Jochen Vogel, Hamburgs Ex-Bürgermeister Hans-Ulrich Klose oder dem Grünen Hans-Christian Ströbele, der einst als Anwalt für RAF-Mitglieder gearbeitet hat. Sie besuchten - neben anderen früheren Polizisten und Strafverfolgern - den legendären BKA-Präsidenten Horst Herold, der damals die Fahndung steuerte. Und sie förderten im Bundesarchiv in Koblenz sowie in Landes- und Parteiarchiven bislang unbekannte Akten zutage. Ihre Einschätzungen diskutierten sie mit Wissenschaftlern wie Wolfgang Kraushaar, der gerade eine umfassende Geschichte der RAF herausgegeben hat. Aus vielen Puzzleteilen entstand so ein spannendes Stück Zeitgeschichte. Unsere neue Serie "Terrorjahr 1977 - die Geschichte der RAF" lässt ein Jahr lebendig werden, das nur auf den ersten Blick unendlich weit weg zu sein scheint.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold