Jemanden wie Joschka Fischer, der die Scheidungsrate nach oben treibt und uns mit einer 28 Jahre jüngeren Schönheit überrascht, hat das so genannte Caroline-Urteil gefreut: Danach darf - verkürzt gesagt - über Prominente nur noch im Zusammenhang mit ihren Ämtern, ihren öffentlichen Aufgaben oder mit ihrer Einwilligung berichtet werden. Das haben die Richter des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verfügt. Sie ziehen damit die Grenzen der zulässigen Berichterstattung weitaus enger, als es das Bundesverfassungsgericht tut. Aber das Kabinett Schröder will die Möglichkeit nicht nutzen, die letzte Instanz, die Große Kammer in Straßburg, anzurufen, um das Urteil doch noch auszuhebeln.
Durch die Untätigkeit des Kanzlers wird die kritische Berichterstattung über prominente Persönlichkeiten - gleich ob aus Politik, Wirtschaft, Showbiz oder Sport - deutlich angreifbarer. Medienanwälte werden sich den VIPs andienen und mit dem Caroline-Urteil im Schriftsatz für Unterlassungen und Schadensersatz fechten. Das dürfte in vielen Redaktionen zur Selbstzensur führen. Denn das Straßburger Urteil wird sehr wohl - anders als Justiz-ministerin Zypries vergangene Woche behauptete - Einfluss auf die deutsche Rechtsprechung haben: Würden hiesige Richter das Caroline-Urteil künftig nicht beach-ten, müsste die Bundesregierung entsprechende Gesetze erlassen. Überwacht wird das vom Ministerkomitee des Europarates. Deshalb stehen die Chancen leider gut, das Recht der Öffentlichkeit auf Information zurückzudrängen. Was der Kanzler übersieht: Wir Journalisten reklamieren die Pressefreiheit ja nicht als Selbstzweck. Unsere Rechte sind zuallererst die Rechte der Leser und aller anderen Mediennutzer.
An diesem Wochenende
stehen den Eltern von Lea und Tabea die wohl schwersten Stunden ihres Lebens bevor. Sie werden beten und auf göttlichen Beistand hoffen: dass es einem Team aus 50 Ärzten und Schwestern gelingt, den siamesischen Zwillingen eine lebenswerte Zukunft zu ermöglichen. Lebenswert? Auch mit solch einer Behinderung erschien den gläubigen Eltern ein menschliches Dasein möglich, deshalb haben sie sich gegen eine Abtreibung entschieden. Am kommenden Samstag nun wird Professor Benjamin Carson im Johns Hopkins Hospital in Baltimore die riskante Trennungsoperation beginnen. 24 Stunden mindestens sind dafür angesetzt, es kann aber auch drei Tage dauern.
Mit dabei: die stern-Redakteure Anette Lache und Frank Ochmann aus dem Ressort Wissenschaft und Medizin. Sie begleiten die Familie aus Lemgo schon seit Monaten, was ihnen viel abverlangt: "Wir können das Schicksal der Mädchen nicht wie Akten in unserem Büro einschließen, sie sind letztlich Tag und Nacht präsent. Gleichzeitig aber müssen wir natürlich bei allem Mitgefühl die notwendige Distanz als Reporter wahren." Sie wissen ebenso wie die Eltern, dass der Tod der beiden Mädchen während des Eingriffs keine unwahrscheinliche Möglichkeit ist.
Als die ersten Bilder
vom Ende des Geiseldramas in Beslan noch ein halbwegs glimpfliches Ende suggerierten, konnte stern-Korrespondent Andreas Albes nur eine SMS absetzen: "Das hier ist ein einziges Massaker", sendete er aus einem Wohnblock, der unter heftigem Beschuss lag. Albes, seit einem Monat neuer Moskau-Korrespondent des stern, war mit dem Fotografen Dmitrij Beljakow bis auf 50 Meter an die Schule der 30000Einwohner-Stadt herangekommen. Dort warteten sie zusammen mit russischen Spezialeinheiten auf den Einsatzbefehl und wurden von der plötzlichen Eskalation der Gewalt ebenso überrascht wie die Soldaten. Zur selben Zeit mischten sich stern-Reporterin Bettina Sengling und Fotograf Jewgenij Kondakow unter die verstörten Angehörigen. Sengling hatte als Moskauer Korrespondentin sowohl den Sturm auf das von tschetschenischen Terroristen gehaltene Dorf Perwomajskoje im Januar 1996 miterlebt als auch die Geiselnahme von 800 Musicalbesuchern in Moskau im Oktober vor zwei Jahren. "Beslan war das Schlimmste", sagt Sengling, Mutter zweier Kinder. "So viele Tote. Und selbst die, die heil davongekommen sind, erzählten uns solch grausame Einzelheiten, dass es manchmal schwer war, ihnen ruhig zuzuhören."
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold