Bundeskanzler Friedrich Merz polarisiert – nicht zum ersten Mal. Doch mit seiner Aussage zum "Stadtbild", bezogen auf die Migration in Deutschland, hat er offenbar einen noch empfindlicheren Nerv getroffen als zuvor. Die Linken- und Grünen-Oppositionsparteien laufen Sturm, die AfD spendet Applaus. Am Dienstagabend demonstrierten sogar rund 2000 Menschen vor der CDU-Parteizentrale gegen den Einwurf des Kanzlers.
Aber was genau ist Kern des Streits? Hat sich der Kanzler im Ton vergriffen, gar rassistischer Ressentiments bedient? Oder wurden seine Aussagen aus dem Kontext gerissen und dramatisiert?
Kontroverse startete bereits vergangene Woche
Rückblick: Die Sätze, um die es geht, fielen bereits am 14. Oktober. Merz war zum Antrittsbesuch nach Brandenburg gereist. Nach einer Kabinettssitzung gaben der Kanzler und Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) eine gemeinsame Pressekonferenz. In ihren Eröffnungsstatements überboten sich beide mit einigermaßen inhaltsleeren Phrasen. Woidke beschwor die "Zusammenarbeit" bei den "großen Aufgaben", die Bund und Länder "gemeinsam" lösen müssten, Merz betonte die nötige "Staatsmodernisierung und Digitalisierung". So weit, so unspektakulär.
Aufhorchen ließ erst die Frage eines Journalisten zum Ende der Pressekonferenz. Er sprach Merz auf die Umfrageergebnisse in Brandenburg an. Demnach stünde die AfD derzeit bei über 30 Prozent. Dabei habe Merz doch bereits 2018 angekündigt, die Partei "halbieren" zu wollen. Was also sei sein Vorgehen, um dieses Problem zu lösen?
Merz holte bei seiner Antwort aus, betonte: "Ich habe damals gesagt, wenn wir gute Politik machen, können wir diese Partei halbieren." Heute sei die Lage anders. "Wir sehen uns mit Rechtspopulismus nicht nur in Deutschland, sondern in großen Teilen der Welt konfrontiert", so der Kanzler. "Das ist eine grundlegende Unzufriedenheit mit der Demokratie."
Was folgte, war ein kurzer Werbeblock für eben jene Demokratie, die von Kompromissen lebe, wie Merz betonte. Dann lenkte er auf das Thema Migration und erklärte, das "Problem" sei schon damals [2018, Anm. d. Red.] schneller lösbar gewesen. Dies sei aber versäumt worden. "Wir korrigieren das jetzt", versprach der Kanzler.
Die Aussage von Friedrich Merz im Wortlaut:
Anschließend folgte ein kurzer Monolog, gerade einmal 16 Sekunden lang, der inzwischen so polarisiert. Merz erklärte wörtlich:

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"Bei der Migration sind wir sehr weit. Wir haben in dieser Bundesregierung die Zahlen August 2024, August 2025 im Vergleich um 60 Prozent nach unten gebracht, aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen. Das muss beibehalten werden, das ist in der Koalition verabredet."
Merz bezog seine Aussagen darauf, dass es aus seiner Sicht wichtig sei, dass die Parteien der Mitte gemeinsam die Probleme lösen, die die Bevölkerung als solche wahrnimmt. Im Laufe der folgenden Tage kochte die Diskussion immer weiter hoch. Kritiker warfen ihm vor, Menschen in Innenstädten zu diskriminieren, die nicht "deutsch" aussehen.
Merz schießt mit zweiter Aussage zurück – und gießt noch Öl ins Feuer
Knapp eine Woche später steht Merz erneut vor einer Schar von Journalisten. Auf der Pressekonferenz nach der CDU-Präsidiumsklausur am 20. Oktober wird er gefragt, ob er seine Aussage zurücknehmen müsse. Merz erklärt darauf barsch: "Ich habe gar nichts zurückzunehmen. Im Gegenteil! Ich unterstreiche es noch einmal: Wir müssen daran [gemeint ist das "Stadtbild", bezogen auf Migration, d. Red.] etwas ändern. Und wir werden daran etwas ändern."
Auf die Nachfrage einer Journalistin, wie Merz es schaffen wolle, "beide Seiten" mitzunehmen, also der AfD mit einer solchen Aussage das Wasser abzugraben und gleichzeitig Menschen zu versöhnen, die er mutmaßlich vor den Kopf gestoßen hat, erklärt der Kanzler:
"Wer es aus dem Lebensalltag sieht, weiß, dass ich mit dieser Bemerkung, die ich in der letzten Woche gemacht habe, recht habe." Es sei nicht das erste Mal, dass er dies gesagt habe, und er sei nicht der Einzige, der dies gesagt habe. "Fragen sie ihre Kinder, fragen Sie ihre Töchter, fragen Sie im Bekanntenkreis. Alle bestätigen, dass das ein Problem ist, spätestens mit Einbruch der Dunkelheit."
Wer dagegen demonstrieren wolle, könne das tun, so Merz. Allerdings müssten sich diese Menschen die Frage stellen, ob sie ein Problem lösen wollen, oder ob sie "einen Keil in unsere Gesellschaft treiben wollen."
Die Aussage des Kanzlers bleibt im Kern also nebulös. Er sagt nicht offen, wen er meint, wenn er "Probleme mit dem Stadtbild" sieht. Allerdings rudert er auch nicht zurück, um die Wogen zu glätten. Die Kontroverse könnte also in eine neue Runde gehen.