Analyse Sahra Wagenknecht: Zerstörerin im Wartestand

Dass Sahra Wagenknecht die BSW-Spitze verlässt, passt zu ihr: Sie kann mit Erfolgen nichts anfangen. Ihr bleibt die Resthoffnung auf den nachträglichen Bundestagseinzug.
Sahra Wagenknecht in Magdeburg
Abwarten und Wasser trinken: Sahra Wagenknecht in Magdeburg
© Jens Schlueter / Getty Images

Das helle Rosa ihrer Jacke korrespondierte gar trefflich mit dem dunklen Pink der Bühne in der Magdeburger Messehalle. Vor ihr waren die meisten Delegierten des BSW-Bundesparteitages aufgestanden und jubelten ihr zu. Da lächelte Sahra Wagenknecht und rief: "Wir stellen die Weichen für einen neuen Aufbruch!" 

Nur zwei Jahre ist es her, dass sie die Linksfraktion im Bundestag spaltete und eine eigene Partei gründete: das Bündnis Sahra Wagenknecht. Sie selbst war alles, was das neue BSW ausmachte: Namensgeberin, Vorsitzende und Gruppenchefin im Parlament. 

Somit entstand keine gewöhnliche Partei, sondern ein Sahra-Wagenknecht-Kaderverein mit einigen hundert sorgfältig kuratierten Mitgliedern. Das Gründungsmanifest enthielt auf gerade einmal vier Seiten ein radikalpopulistisches Medley aus linken Sozialforderungen, liberalkonservativen Wirtschaftspositionen und einer restriktiven Migrationspolitik. Nicht nur mit Wagenknechts Kampf gegen die angeblich verengten Meinungskorridore und für einen Frieden mit Russland auf Kosten der Ukraine ähnelte so einiges den Vorstellungen der AfD

Der wilde Politikmix hatte Erfolg  

Doch der Erfolg dieser wilden Politikmischung war dank der Popularität der Parteichefin enorm. Aus dem Stand erreichte das BSW im Juni 2024 bei der Europawahl 6,2 Prozent. Wenig später, bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, kam die Partei auf zweistellige Ergebnisse. Viele Stimmen stammten von bisherigen Linke- und AfD-Anhängern.

So schnell hatte noch nie eine Partei in Deutschland derartige Erfolge erzielt. Doch das große Problem war: Wagenknecht konnte damit nichts anfangen. Zeit ihres politischen Lebens hatte sie die Fundamentaloppositionelle gegeben. Stets war sie die, die dagegen war.

Wie in der Linkspartei arbeitete Wagenknecht nun auch im BSW gegen jene, die sich an Regierungen beteiligen wollten, und sei es, um die AfD von der Macht fernzuhalten. Die Landtagsfraktionen sollten der Vorsitzenden ausschließlich dazu dienen, im Bund zu reüssieren. 

Doch viele der neuen Landtagsabgeordneten emanzipierten sich rasch. In Thüringen ließ sich Wagenknecht geradezu ausmanövrieren. Trotz massiver Drohungen aus Berlin ging dort das BSW unter Katja Wolf in eine Regierung unter CDU und SPD. 

Spätestens seitdem wurde die Partei von Machtkämpfen und Intrigen dominiert – und das Momentum verpuffte. Als Konsequenz verpasste das BSW im Februar bei der Neuwahl des Bundestags knapp die Fünf-Prozent-Hürde und flog aus dem Parlament.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Sahra Wagenknecht wirkte wie eine Gescheiterte

Wie zuvor bei der Linken oder der Initiative "Aufstehen" wirkte Wagenknecht wieder einmal als Gescheiterte. So sehr sie Machtwillen, Ausstrahlung und Intelligenz besitzt, so sehr mangelt es an ihr eben auch an der Fähigkeit zum Moderieren und Organisieren – und vor allem zum Gestalten. 

Im Ergebnis befindet sich die junge Partei in der Krise. In Brandenburg traten mehrere Abgeordnete aus, in Sachsen-Anhalt implodierte der Landesvorstand. Zudem wartet der strategische Konflikt zwischen den beiden Regierungsfraktionen und der Bundesspitze, den Wagenknecht in ihrer Rede in Magdeburg fast schon aggressiv befeuerte, nur auf seine nächste Eskalation.

Das gilt umso mehr, da jetzt die Gründerin ein Machtvakuum hinterlässt. Wagenknecht geht – als Vorsitzende, aber auch als Namensgeberin. Sie hat genug von den stillen, undankbaren Mühen der Parteiarbeit ohne die Bühne des Parlaments. 

Dass trotzdem die Geschichte des BSW nicht beendet sein muss, bevor sie richtig beginnen konnte, liegt in der Möglichkeit begründet, dass das Bundesverfassungsgericht die vom Bundestag verweigerte Neuauszählung der Wahl anweist – und das BSW nachträglich ins Parlament einzieht. Deshalb bleibt Wagenknecht vorerst im Wartestand.

Es geht um Kontrolle

Indem sie die zugehörige Grundwertekommission leitet, will sie programmatische Kontrolle behalten und kann zudem an den Sitzungen des neuen, von ihr verlesenen Präsidiums teilnehmen. Das BSW soll also, auch wenn ihr Name aus der Parteibezeichnung getilgt ist, noch das Bündnis von Sahra Wagenknecht sein – jedenfalls so lange, bis die Partei vielleicht doch noch in den Bundestag einzieht. Dann könnte die Gründerin wieder das Amt übernehmen, um das es ihr immer ging: den Fraktionsvorsitz.

Auf dem Parteitag am Samstag lief alles nach ihrem Überlebensplan. Als neuer Vorsitzender wird Fabio De Masi die Partei gemeinsam mit der bisherigen Co-Chefin Amira Mohamed Ali ganz im Sinne Wagenknechts führen, also maximal populistisch und dirigistisch. Die Pragmatiker aus den Regierungsfraktionen verzichteten auf ihre Kandidaturen oder sahen ihrer Abstrafung entgegen. 

Der Rest ist Hoffnung

Der Rest ist Hoffnung: auf zumindest die beiden ostdeutschen Landtagswahlen, aber insbesondere auf das Bundesverfassungsgericht. Falls tatsächlich die fehlenden 9529 Stimmen bei einer Neuauszählung gefunden würden, wäre Wagenknecht wieder da.

Und wie! Die schwarz-rote Mehrheit verlöre ihre Mehrheit im Bundestag, die Bundesrepublik schlitterte in eine historische Krise, während das BSW die gerupfte Regierung zusammen mit der AfD vor sich hertriebe.

Dann könnte Sahra Wagenknecht, wie sie in Magdeburg selbstbewusst ankündigte, "Kanzler Merz in die Wüste schicken". Dann endlich dürfte sie wieder das tun, was sie am besten kann: zerstören.

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