Wenn man Politiker fragt, weshalb sie in die Politik gingen, sagen sie meist: Ich möchte gestalten. Sie meinen: Es ist schön, Macht zu haben. Aber so formulieren sie das natürlich nicht. Ebenso wenig, dass sie Angst haben, diese Macht zu verlieren. Diese Angst macht sie rastlos. Sie wollen am liebsten ständig auf Sendung sein. Abschalten, wirklich entspannen, ohne Handy die freie Zeit genießen? Nahezu unmöglich. Politiker kennen keinen Urlaub. Am Bodensee traf stern-Autor Arno Luik, 52, Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, 47, zum mehrstündigen Urlaubsinterview (S. 36). Auch Gabriels Handy klingelte, Akten kamen, immer wieder wurde das Gespräch unterbrochen, weil irgendwelche wichtigen Kladden durchgegangen, Papiere unterzeichnet, Manuskripte schnell durchgeblättert sein mussten, ein Berater mit dem Minister die Strategien einer Sondersitzung andenken wollte. Und doch: Der Mann fürs Klima, braun gebrannt, einige Kilo leichter, war – sehr entspannt. Denn es sind zurzeit schöne Tage für den Umweltminister.
Sigmar Gabriel hat in seinen Ferien ein Riesenglück. Seine Themen haben plötzlich Konjunktur. Klima. Klimakatastrophe. Kernkraft. Der Minister muss die Gunst der Stunde nutzen – jetzt. Urlaub hin, Urlaub her. Er schafft es in die Schlagzeilen, selbst mit dem kuriosen Vorschlag für ein Gesetz, das Mietkürzungen erlaubt, wenn der Vermieter Modernisierung zur Einsparung von Heizkosten versäumt. Gabriel ahnt, wenn er nun seinen Job als Umweltminister gut macht, ist er ihn bald los, und es spült ihn nach oben in den engsten Führungskreis der SPD. Hoffnungsträger gibt es in seiner Partei kaum mehr. Wer, außer vielleicht Außenminister Frank-Walter Steinmeier, sollte spätestens nach der nächsten Bundestagswahl den so farblosen Parteichef Kurt Beck beerben?
Es ist immer eine Versuchung,über politische Rohrkrepierer besonders süffisant zu berichten. Es dreht sich ja meistens um unnötige, da vorhersehbare Pannen. Aber die Ermittlungen gegen Journalisten (darunter auch vier stern- Redakteure) wegen „des Verdachts der Beihilfe zum Geheimnisverrat“ verdienen doch ein ernsthaftes Wort. Geheim gehaltene Informationen waren über Ausschussmitglieder immer wieder in Presseberichten aufgetaucht. Siegfried Kauder, CDU, Vorsitzender des BND-Untersuchungsausschusses, hatte daraufhin Ermittlungen angestoßen – und damit ein sehenswertes Eigentor geschossen.
Denn das Bundesverfassungsgericht hatte erst im Februar in seinem „Cicero“-Urteil bekräftigt, dass die Veröffentlichung von Dienstgeheimnissen in der Presse allein nicht ausreicht, um ein Vorgehen gegen Journalisten zu begründen, und dass der Quellenschutz für die Pressefreiheit „unentbehrlich“ sei. Informanten müssen sich, so die Karlsruher Richter, „auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen“ können. Kauders Kalkül – wir lassen die Staatsanwälte von der Leine, die knöpfen sich die Journalisten vor, dann erfahren wir, wer die Akten herausgegeben hat – wird also nicht aufgehen. Er bewegt sich fern der Realität. Das ist gefährlich für einen Spitzenpolitiker.
Unsere Serie "So liebt die Welt" endet bereits in diesem Heft (Seite 73, "Türkei"). Ursprünglich sollte "Südkorea" den Schlusspunkt setzen. Doch mit Blick auf den ungewissen Ausgang des Geiseldramas um die 21 Südkoreaner in Afghanistan verzichten wir vorerst auf den Abdruck dieser Folge.
Herzlichst Ihr
Andreas Petzold