Editorial In Düsseldorf und Hamburg wird gewählt

Liebe stern-Leser!

Angststarre lähmt die SPD kurz vor der Wahl an Rhein und Ruhr. Dass die letzte rot-grüne Landesregierung in Düsseldorf doch überlebt und den Berliner Koalitionären neue Hoffnung für die Bundestagswahl 2006 einhaucht, ist unter den meisten Genossen keine Option. Sie scheinen sich schon jetzt in den drohenden Machtverlust zu fügen und rechnen sogar mit dem vorzeitigen Ableben der Berliner Regierung.

Auch unter dem Druck von einer Million Arbeitslosen droht der sozialdemokratischen Herzkammer in Nordrhein-Westfalen der Infarkt. Der Rüttgers und die Union können's zwar auch nicht besser, aber schlimmer kann es nicht mehr werden - nach nur sieben Jahren Schröder ist die Stimmung mancherorts wie nach 16 Jahren Kohl. Das ist ungerecht, aber ein Wähler, der kühl und abgewogen entscheidet und nicht nur das eigene Wohl im Blick hat, ist Wunschdenken der Politiker. Zorn und Enttäuschung wählen mit. Natürlich zählen auch die Sympathiewerte der Kandidaten. Das bleibt Steinbrücks einzige Chance. Was in den Köpfen der Menschen im wichtigsten Bundesland vor sich geht, das wollten stern-Reporter Werner Schmitz und Fotograf Hardy Müller herausfinden. Sie reisten quer durchs Land, auf der alten Bundesstraße 1 von der holländischen Grenze bei Aachen zu den Externsteinen im Teutoburger Wald. Sie trafen den Ministerpräsidenten und seinen Herausforderer, redeten mit roten Arbeitern und schwarzen Bauern, besuchten Schützenvereine und Fußballfans. Ihr Bericht beginnt beginnt auf Seite 24.

Zwei Tage vor der Wahl geht es auch in Hamburg um die Gewinner einer ganz besonderen Wahl: Zum ersten Mal wird dort am Freitagabend der Henri-Nannen-Preis verliehen, gestiftet vom stern und dem Verlag Gruner + Jahr. Wir wollen damit die begehrteste Auszeichnung der deutschsprachigen Zeitschriften- und Zeitungsbranche ins Leben rufen, wollen dem Qualitätsjournalismus eine Bühne bereiten und ihn im Hamburger Schauspielhaus glanzvoll würdigen. Eine unabhängige Jury, besetzt mit Chefredakteuren und Autoren deutscher Qualitätsblätter, wird die Sieger küren.

Henri Nannen, genialer Gründer und Chefredakteur des stern, hatte 1977 den Egon-Erwin-Kisch-Preis für die beste Reportage ausgelobt. In den vergangenen Jahren gewannen jedoch andere Spielformen journalistischer Arbeit mehr und mehr Bedeutung, die nicht den klassischen Regeln einer Reportage entsprechen, wonach ein einzelner Reporter Erlebtes mitreißend aufschreibt. Oft arbeiten mehrere Journalisten an einer Geschichte. Historische, naturwissenschaftliche oder komplexe gesellschaftspolitische Themen müssen recherchiert und lesbar aufbereitet werden. Der Henri-Nannen-Preis wird dieser Entwicklung gerecht und vergibt Auszeichnungen in mehreren Kategorien (siehe Seite 160), auch für die Unabhängigkeit und Freiheit der Presse. Diese Auszeichnung wird die Journalistin Irina Chalip aus Minsk erhalten - überreicht von Außenminister Joschka Fischer. Mutig widersetzt sie sich den Schikanen des weißrussischen Diktators Lukaschenko, unbeirrt arbeitet sie weiter, obwohl sie zum Staatsfeind erklärt und mehrfach festgenommen wurde. Sie braucht unsere Unterstützung; Henri Nannen hätte es so gewollt!

PS: Über die Preisverleihung berichten wir im nächsten stern.

Herzlichst Ihr


Andreas Petzold

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