Editorial Von der Angst vor der Krankheit

Liebe stern-Leser!

"Der eingebildete Kranke" von Molière ist eine der großen Komödien der Weltliteratur. Darin macht Argan sich und allen anderen das Leben zur Hölle mit seinen vorgeblichen Leiden. Es klingt wie ein Witz, dass Molière 1673 während der vierten Aufführung seines "Malade imaginaire" auf der Bühne zusammenbrach und an den Folgen eines Blutsturzes starb. Der geniale Franzose war nicht der Hypochonder, den er selbst spielte, sondern tatsächlich schwer lungenkrank.

Auch stern-Redakteur Jan Schweitzer und sein Kollege Tobias Schmitz wollten einen heiter-ironischen Text über eingebildete Kranke schreiben. Im Gespräch mit dem Marburger Hypochondrie-Experten Winfried Rief stellte sich aber rasch heraus: Echte Hypochonder können über solch eine heitere Betrachtung nicht lachen - denn dafür leiden die Betroffenen viel zu stark. Bei manchen der organisch gesunden Menschen ist der Druck so groß, dass sie sogar in riskante Operationen einwilligen, um damit vom Arzt doch noch einen Beweis für ihre felsenfeste Überzeugung zu bekommen: Ich bin schwer krank.

Bis zu ihren Recherchen in Hamburg, Marburg und Bad Bramstedt schien sich das stern-Team ideal zu ergänzen. Immer wenn der hypochondrisch veranlagte Schmitz glaubte, selbst erkrankt zu sein, konnte Kollege Schweitzer, studierter Mediziner, ihn beruhigen. Von Rief aber lernten sie: Dauernder ärztlicher Beistand ist nicht sinnvoll. Nur wer sich selbst beruhigen kann, kann der Hypochondrie entkommen. Die Titelgeschichte beginnt auf Seite 212.

Den Irak

kennt stern-Reporter Christoph Reuter seit 15 Jahren. 2004 lebte und arbeitete er mehrere Monate in Bagdad und schrieb über diese häufig anarchische Zeit auch ein Buch ("Café Bagdad"). Im Mai 2004 gab er das dortige stern-Büro auf, weil der ständige Aufenthalt zu gefährlich geworden war. Seither kommt Reuter alle paar Monate für einige Wochen in den Irak - zuletzt anlässlich des Prozesses gegen Saddam Hussein im Oktober. Bei dieser Gelegenheit lernte er in Arbil im kurdischen Norden die deutsche Archäologin Susanne Osthoff kennen. Er ließ sich ihr schillerndes Leben erzählen, traf sie erneut in Bagdad, erlebte sie bei Verhandlungen mit Regierungsoffiziellen und Scheichs und verabredete sich mit ihr für Dezember wieder in Arbil. Dann wollte er eine Geschichte über sie schreiben. Als vergangene Woche die Nachricht kam, dass Susanne Osthoff entführt worden war, holte Christoph Reuter seine Notizblöcke hervor, telefonierte mit Kollegen, Informanten und Offiziellen in Bagdad und schrieb das Porträt einer Frau, die viel - vielleicht zu viel - riskierte (ab Seite 26).

Herzlichst Ihr

Thomas Osterkorn

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