Studium "Eliten kann man nicht verordnen"

OECD-Bildungsexperte Andreas Schleicher bricht eine Lanze für Studiengebühren. Sie könnten zur Förderung von Spitzenleistungen beitragen.

OECD-Bildungsexperte und Koordinator der Pisa-Studie Andreas Schleicher bricht eine Lanze für Studiengebühren. Sie seien sozialer als die derzeitige Auslese in den deutschen Schulen und könnten zur Förderung von Spitzenleistungen beitragen.

Braucht Deutschland Elite-Universitäten?

Darüber kann kein Zweifel bestehen. Jeder Staat braucht Spitzenleistungen, die entsprechend gefördert werden müssen. Diese werden den Erfolg der Staaten entscheidend bestimmen. Kein Industriestaat kann sich darauf ausruhen, bei Produktion oder Optimierung gut zu sein, das werden andere Staaten übernehmen.

Wie sollte Spitzenausbildung gefördert werden?

Eliten kann man nicht verordnen. Sie bilden sich, wo die Rahmenbedingungen für gute Arbeit stimmen: wo Bildungsinstitutionen die notwendigen Freiräume und Ressourcen für Spitzenforschung haben und wo Bildungsanbieter in einem konstruktiven Wettbewerb um die besten Köpfe stehen. Auch müssen Zugangsbarrieren überwunden werden.

Wo könnte man ansetzen?

Zunächst einmal brauchen wir viel mehr Transparenz. Wir müssen Klarheit schaffen über das, was wir von den Hochschulen erwarten, und Maßstäbe, mit denen wir Erfolg bewerten. Ergebnisse und Ressourcen müssen enger verknüpft werden. In England werden Forschungskapazitäten systematisch bewertet, jedes Institut kann sich bewerben und das Ergebnis bestimmt entscheidend, wohin Gelder fließen.

Ist Elitenförderung also keine Frage des Geldes?

Investitionen sind sicher eine entscheidende Voraussetzung. In den USA werden pro Student und Jahr 20.350 Dollar ausgegeben, in Deutschland sind es 10.900 Dollar. Solche Dimensionen sind mit den bestehenden Finanzierungsmodellen in Deutschland aber nicht zu erschließen. Entweder ist ein Land willens, erheblich mehr öffentliche Mittel aufzuwenden - wie Schweden oder die Schweiz. Oder man muss über Gebühren oder sonstige private Finanzierungsquellen nachdenken.

Führen Gebühren nicht zu einer sozialen Auslese?

Nicht zwangsläufig. Die soziale Auslese erfolgt in Deutschland in viel beunruhigenderer Weise durch die Schule. Da werden bereits Zehnjährige vom Hochschulbildungsweg ausgeschlossen, in hohem Maße aufgrund ihres sozialen Hintergrundes. Wo der Hochschulzugang begrenzt ist, setzen sich immer die mit den besseren Startvoraussetzungen durch. Mehr Investitionen, ein flexibleres Schulsystem und ein offenerer Universitätszugang könnten die Bildungsmobilität entscheidend erhöhen. In Australien wurde der Zugang zur Hochschule mit Hilfe von Gebühren drastisch ausgebaut, es kann praktisch jeder studieren: Davon profitiert haben als erste niedrigere soziale Schichten. Selbstverständlich funktioniert das nur, wenn die Gebühren erst dann erhoben werden, wenn der Studierende beruflich Erfolg hat. Eintrittsgeld zu verlangen wie in den USA wäre sicher der falsche Weg.

Wo steht Deutschland heute im internationalen Vergleich?

Wir sind heute nicht mehr in der Spitzengruppe der Staaten, die an der Front der Entwicklung stehen. Deutschland hat im Hochschulbereich die Dynamik der letzten 20 Jahre verschlafen. Vor einer Generation lag Deutschland bei den Hochschulqualifikationen in der Bevölkerung noch auf Platz 12, heute auf Platz 24.

Machen die Franzosen es besser?

In Frankreich werden Leistungseliten innerhalb des Hochschulsystems geschaffen. Das ist sicher sinnvoller und sozial gerechter, als den Zugang über das Schulsystem zu regeln. Dennoch halte ich die Grandes Ecoles nicht für das Vorbild: Dort wurden künstliche Institutionen geschaffen, anstatt auf einen offenen Wettbewerb zu setzen.

Interview: Uwe Gepp, AP

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